Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)
ökonomischen Nutzen eines Mitarbeiters für die Firma.
Aber seit 2005 basierte das System praktisch nur noch auf Zahlen: Jeder Mitarbeiter bekam einen bestimmten Prozentsatz des Erlösbetrags, der neben seinem Namen stand. In manchen Jahren waren es fünf Prozent dieser Einnahmen, in besseren Jahren sieben. Wenn man also beispielsweise in einem guten Jahr 50 Millionen Dollar Umsatz machte und man eine Führungsposition (Vice President oder darüber) bekleidete, die in dieses System der Erfolgsbeteiligung einbezogen war, konnte man theoretisch 3,5 Millionen kassieren.
Das Problem an dem neuen System war, dass die Mitarbeiter jetzt alles – wirklich alles – daransetzten, um die Zahl neben ihrem Namen aufzublähen. Die jungen Leute im Trading und im Sales lernten von dem schlechten Beispiel, das ihnen ihre Vorgesetzten gaben. Mit ansehen zu müssen, wie der Charakter dieser jungen Menschen vergiftet wurde, machte mich wirklich fertig.
In den elf Jahren, in denen ich maßgeblich an dem Prozess der Personalauswahl für Goldman Sachs in Stanford beteiligt war, hatte ich Tausende der besten und intelligentesten Uni-Absolventen kennengelernt, die die Zukunft der Firma sein sollten. Das Einstellungsverfahren war für mich immer etwas ganz Besonderes. Es ging darum, frisches Blut in ein Unternehmen zu holen, das mir viel bedeutete und an das ich glaubte. Jemand hatte mich ausgewählt, als ich noch nichts über Finanzprodukte wusste: Sie hatten mein Potenzial erkannt und mich unter ihre Fittiche genommen. Und ich tat jetzt das Gleiche für junge Menschen, an die ich glaubte. Es war unglaublich befriedigend, in diesen Beziehungen derjenige zu sein, der etwas zu geben hatte.
Erfahrene Investmentbanker erzählen oft, dass junge Menschen – insbesondere Sommerpraktikanten und Analysten, die gerade ihr Studium abgeschlossen haben – einen frischen Wind und neue Begeisterung in den Handelssaal bringen und dass ihr aufrichtiger Idealismus auf die altgedienten Wall-Street-Veteranen abfärbt. Ich hatte den Eindruck, dass diese Zeiten endgültig vorbei waren.
Frisch eingestellte Associates sahen nur, wie ihre Vorgesetzten, die Managing Directors und Partner, um ihre Prämien stritten. Mit der Zeit hatte sich dieses zerstörerische Verhalten in allen Bereichen ausgebreitet. Die Neulinge glaubten, sie müssten sich genauso verhalten wie ihre Vorgesetzten. Ich musste mindestens zehnmal als Streitschlichter agieren zwischen Associates, die versuchten, ihren prozentualen Anteil an den Gross Credits auf Kosten eines Kollegen zu erhöhen. Als Associate war ich selbst nicht einmal in dieses System der Erfolgsbeteiligung einbezogen, weil die GCs damals in der Firma noch nicht im Mittelpunkt standen. Jetzt betrachteten Associates die GCs als den absoluten Maßstab für die Höhe ihres Bonus am Jahresende. Ein typischer Streit zwischen Associates hörte sich in etwa so an:
ASSOCIATE 1: He, Mann, ich denke, die fünfundsiebzig Prozent der GCs des Kunden XYZ stehen eindeutig mir zu. Ich hab da viel mehr Arbeit reingesteckt als du, und der Kunde findet mich voll sympathisch.
ASSOCIATE 2: Nee, ich bin der Ansprechpartner des Kunden für Derivate, also gehen die fünfundsiebzig Prozent zu meinen Gunsten. Verzieh dich.
Mit der Teamarbeit bei Goldman Sachs war es nicht mehr weit her. In den meisten derartigen Situationen riet ich den Beteiligten, jeweils fünfzig Prozent zu nehmen, ein Partner würde dann später die endgültige Entscheidung treffen – die oft davon abhing, welcher der Associates dem Partner sympathischer war. Das führte dazu, dass die Betreffenden in Zukunft erst recht nicht mehr zusammenarbeiteten.
Eine andere Sache, die mir zu schaffen machte, war die Tatsache, dass ich es nicht mehr über mich brachte, Studenten für die Firma anzuwerben. Irgendwann in den letzten zwölf Monaten, bevor ich das Handtuch warf, begann ich, mich immer mehr aus dem Einstellungsverfahren zurückzuziehen. Ich war mir zunächst gar nicht bewusst, warum, doch dann wurde mir klar, was mein Bauchgefühl mir sagte: Die Zyniker haben bei Goldman Sachs die Oberhand gewonnen. Dies ist nicht länger die Bank, von der ich als junger Mensch begeistert war und für die ich andere jungen Menschen begeistern möchte . Die Ideale von Weinberg, Levy und Whitehead galten nichts mehr. Goldman war noch immer die Bank Nummer eins in der Welt, aber nur weil sie das, was sie tat, am besten tat (und weil die Wettbewerber so schwach geworden waren). Ich
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