Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)
auf europäische Großbanken wie die Société Générale, BNPParibas, UniCredit, Intesa und so weiter zu kaufen oder zu verkaufen. Wir hatten unsere Bewertungen dieser Kreditinstitute ständig grundlegend geändert. Ich dachte damals: Wie können wir dies tun, ohne eine Miene zu verziehen? Kein vernünftiger Kunde wird uns glauben, dass sich die Fakten, auf die sich unsere Beurteilungen stützen, so häufig ändern. Diese Analysen waren offenkundig irreführend und unaufrichtig.
Im Fall der europäischen Banken ließen sich sogar noch mehr Kunden als gewöhnlich für diese Trades gewinnen, und darunter waren auch traditionell eher vorsichtige Investmentfonds. Die Firma sah eine Gelegenheit, in diesem Sektor viel Geld zu verdienen, weil Länder wie Griechenland, Portugal und Spanien die Turbulenzen einer Schuldenkrise durchmachten und US-Politiker sich in der Frage, ob die US-Schuldenobergrenze angehoben werden sollte, und im Hinblick auf einen langfristigen Plan zum Abbau der Staatsverschuldung gegenseitig blockierten. Daher sprach einiges dafür, dass S&P die Kreditwürdigkeit der USA herabstufen würde – was noch größere Turbulenzen hervorrufen würde. Je unruhiger das Marktumfeld, umso volatiler die Optionen und umso fetter die Margen für die Banken, die die Preise festsetzten. Zwar steigt das Risiko, aber ebenso die Aussicht auf riesige Gewinne.
Abgesehen von der offensichtlichen Unaufrichtigkeit, die darin lag, unseren Kunden, je nach den Wünschen unserer Wertpapierhändler, ständig etwas anderes zu empfehlen, beunruhigten mich auch die möglichen Auswirkungen unseres Glücksspiels mit europäischen Bankenoptionen. Goldman Sachs hatte Griechenland mit Hilfe von Derivaten geholfen, seine Schulden zu kaschieren. Jetzt versuchte das Unternehmen, die größten Investoren der Welt dazu zu bewegen, in rasendem Wechsel Kaufs-und Verkaufsorders zu erteilen – mit oft erheblichen Auswirkungen auf den Markt (die Kurse einiger dieser europäischen Bankaktien bewegten sich manchmal um über fünf Prozent an einem Tag).
Und hier handelte es sich nicht um irgendwelche abstrakten Vermögenswerte. Dies waren die nationalen Banken souveräner Staaten mit Millionen von Bürgern, die von ihren Regierungen abhängig waren, um über die Runden zu kommen. Es erschien mir im höchsten Maße verantwortungslos, mit den Schicksalen dieser Banken zu spielen.
Schlimmer – und undurchsichtiger – wurde alles noch dadurch, dass ein bekannter Stratege von Goldman Sachs einen quasi geheimen Bericht vorlegte, den man nur ausgewählten Kunden zukommen ließ. Das Wall Street Journal berichtete darüber. In diesem Bericht zeichnete der Stratege ein besonders düsteres Bild der Lage in Europa und behauptete, um die europäischen Banken zu stützen, sei eine Billion Dollar nötig. Und er tüftelte ein paar Optionen aus, die die Möglichkeit boten, sich gegen die Turbulenzen abzusichern oder Gewinn aus ihnen zu schlagen. Und zur gleichen Zeit, als der Goldman-Stratege den Zusammenbruch des europäischen Bankensystems vorhersagte, gab es Tage, wo unsere Trading-Abteilung Kunden davon zu überzeugen versuchte, dass dies der richtige Zeitpunkt sei, auf die positive Dynamik des Marktes zu setzen.
Das war alles zu viel. Wir hatten Griechenland vor Jahren dabei geholfen, mit einem Derivat seine wahre Verschuldung zu verschleiern. Und jetzt, wo sich dies rächte, zeigten wir Hedgefonds, wie sie von dem Chaos in Griechenland profitieren konnten, und auf der anderen Seite der «Chinesischen Mauer» (der Barriere, die den Informationsaustausch zwischen Emissionsgeschäft und Investmentbanking verhindern soll) bemühten sich unsere Investmentbanker um Beratungsaufträge bei der griechischen Regierung, der man helfen wollte, den Scherbenhaufen aufzuräumen.
Dieses komplexe, von Interessenkonflikten geprägte Szenario hat viele Mitarbeiter im Handelssaal stark verunsichert, und ich unterhielt mich mit Dutzenden von Kollegen darüber. Alle beklagten die Heuchelei, aber niemand tat etwas dagegen. Die Bonus-Kultur war viel zu fest etabliert: Die Zahlen selbst sprachen gegen Veränderungen.
Früher einmal waren die Boni bei Goldman Sachs eine sehr subjektive Sache gewesen. Am Ende jedes Jahres erstellte der Vorgesetzte eine Leistungsbeurteilung, in die nicht nur der Umsatz einging, den man generiert hatte, sondern auch der Mehrwert, den man als Person für das Unternehmen darstellte. Diese beiden Faktoren zusammengenommen ergaben den wahren
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