Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)
Aber in der Zwischenzeit hatte Georgette fünfzehn Prozent der Summe jeder Person in ihrer Gruppe auf ihr eigenes Konto transferiert und dadurch ihren Bonus erhöht. Sie wies einfach die Leitung der Trading-Abteilung an: «Bitte schreiben Sie zukünftig fünfzehn Prozent aller Erlöse von Olivier mit den Kunden X, Y und Z meinem Konto gut.» Das war Wegelagerei. Die Leute waren fassungslos, aber alle hatten Angst, sie deshalb zur Rede zu stellen.
Alle außer «Punter».
Als Georgette ihren Anteil an seinen üppig sprudelnden neuen Erlösen forderte, sagte er einfach: «Auf gar keinen Fall!» Er sagte ihr, sie solle ihn in Ruhe lassen, obwohl sie seine Vorgesetzte war. Der Schachzug ging auf. Aber nur weil «Punter» in so hohem Ansehen stand. Hätte Georgette gesagt: «Ich hol mir meine fünfzehn Prozent trotzdem», hätte sie vor den anderen ziemlich schlecht dagestanden. Also gab sie klein bei und ließ ihn in Zukunft in Ruhe.
Dies war die Ausnahme, die die Regel bestätigte. Anscheinend hatte Georgette sogar einmal den Nerv gehabt, in Daffeys Büro zu stürmen und, hinter den Glaswänden, aber vor den Augen der Mitarbeiter, mit den Füßen aufzustampfen und lautstark Forderungen zu stellen, während Daffey ihren Auftritt kleinlaut über sich ergehen ließ. «Daffey war machtlos gegen sie», sagte mein Mentor. «Alle haben Angst davor, dass sie ihre Sachen packt und die Firma verlässt. Deshalb sagen sie zu allem ja und amen.»
Sich einen Anteil an der Provision beziehungsweise der Gewinnmarge der Untergebenen zu sichern war nur eine der speziellen Praktiken, die mir zu Ohren kamen, als ich versuchte, meine Kollegen für mich zu gewinnen. Es gab noch weitere. Ein anderer Manager im Handelssaal, der bedingungslos gewinnorientiert war, soll angeblich vor der Krise einen komplexen, anlagenklassenübergreifenden strukturierten Trade mit einem Pensionsfonds gemacht haben, der der Firma 100 Millionen Dollar einbrachte. Es wurde gemunkelt, der Manager habe in jenem Jahr 12 Millionen Dollar als Bonus erhalten. Für den Kunden soll es in der Folge ein Albtraum gewesen sein, die Verluste aus diesem Trade über mehrere Jahre auszugleichen.
Wenn man mit diesem Typen kommunizierte, wenn man ihm eine E-Mail schrieb und man erwähnte auch nur andeutungsweise ein Geschäft mit einem Kunden, bekam man in der Regel eine Mail zurück, die aus drei Zeichen bestand: GC? Gewinnspanne? Sonst nichts. Keine Frage danach, warum der Kunde diesen Trade wollte, was genau für ein Geschäft es war oder sonst etwas. Er wollte nur wissen, wie viel Geld wir mit dem Trade verdienten. Merkwürdigerweise war er, jenseits des Tradings, ein recht netter Kerl. Er war humorvoll, hatte eine hübsche Frau und nette Kinder, deren Fotos auf seinem Schreibtisch standen.
Manchmal führte die Verherrlichung der GCs zu weit. Als im Spätsommer 2011 die europäische Staatsschuldenkrise hochkochte und Moody’s und Standard&Poor’s die Kreditwürdigkeit der US-Regierung herabstuften, schickten fünf oder sechs Managing Directors jeweils eine E-Mail an alle sechshundert Leute im Handelssaal, in der sie ihre jeweiligen Teams dafür priesen, dass es ihnen inmitten der Krise gelungen war, jede Menge lukrative Deals reinzuholen. In den E-Mails wurden die Gebühreneinnahmen in Höhe von zig Millionen Dollar sehr detailliert aufgeschlüsselt – nach Elefanten-Geschäften mit über 1 Million Dollar Gewinnspanne; nach Kundentyp (wobei die Namen der Kunden aus rechtlichen Gründen weggelassen wurden) und nach Trade-Typ –, und die Verfasser klopften allen Beteiligten (aber vor allem sich selbst) für die «ausgezeichnete Arbeit» auf die Schulter. Innerhalb von zwei Minuten schickte Daffey folgende Rund-Mail an alle: «Es ist zu früh für Ehrenrunden. Die Börsen haben geöffnet. Voller Einsatz, Leute!»
Ich fand das alles ziemlich bizarr. Die Volkswirtschaften mehrerer europäischer Staaten – Griechenland, Spanien, Italien, Portugal – schienen kurz vor dem Kollaps zu stehen, und wir prahlten damit, wie viel Geld wir mit Kunden verdienten, die durch den drohenden Zusammenbruch entweder in Panik gerieten oder, schlimmer noch, unmittelbar betroffen waren und viele Millionen Dollar verloren. Es fühlte sich ein bisschen so an wie auf dem Höhepunkt der Krise 2008, als Bobby Schwartz Triumphe feierte.
Ein paar Monate nachdem Daffey in London vor versammelter Mannschaft die Ergebnisse der Studie zur Geschäftspraxis vorgestellt hatte, hielt die Firma eine
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