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Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)

Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)

Titel: Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Smith
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liefen im Handelssaal im Juli und August die Wetten. Trader wetteten auf alles: auf Wimbledon, auf das Masters und darauf, wie viele White-Castle-Burger ein Nachwuchsanalyst verdrücken konnte. Selbst das Platzen der Technologieblase gebot dem Treiben keinen Einhalt. Ich erinnere mich da an einen Trader, einen dürren Kerl namens Tommy, über den sich alle lustig machten. Plötzlich wurden wie wild Wetten darauf abgeschlossen, wie viel Tommy beim Bankdrücken stemmen könnte. Es wurde so ein Hype daraus, dass sogar «over the hoot» – also über die Lautsprecheranlage des Handelssaals, die gewöhnlich geschäftlichen Mitteilungen vorbehalten war, auch «Hoot-and-Holler» genannt – Wetten ausgerufen wurden. Jeder hatte eine Meinung. Die eher Gefühlsbetonten meinten, dass Tommy mit 1,75 Metern Größe und maximal 65 Kilo zwar schwächlich wirke, doch vermutlich mehr stemmen könne, als man annahm. Es gab aber auch eine rationale Fraktion, die ganz anderer Ansicht war. Es wurde eifrig gewettet und hin und her diskutiert – womöglich auch um Flauten auf den echten Märkten zu überbrücken. In den schleppenden Handel an einem späten Vormittag hinein sagte ein Managing Director plötzlich: «Also gut, jetzt klären wir das. Tommy, ab ins Fitnessstudio.» Es entbrannte eine heftige Diskussion über die Zahl der nötigen Zeugen. Am Ende wurden drei Zeugen abgeordnet, und natürlich stemmte Tommy viel mehr, als ihm irgendwer zugetraut hatte. An jenem Tag wechselte eine Menge Geld den Besitzer. Tommy sollte übrigens später Managing Director werden.
    Im Sommer 2001 konzentrierten sich die Wetten im Handelssaal auf die Ergebnisse der neuen Analysten in der «Series 7»-Prüfung.
    Das Ganze lief ab wie das übliche Trading. Wenn auf dem Markt gerade wenig los war, gewöhnlich zwischen elf und halb zwölf, stand einer auf und rief jemandem in der nächsten Reihe zu: «Bald ist Prüfung – was meinst du? Wie steht der Markt für Series 7?» Und zwar so laut, dass es alle hören konnten. «Wie Greg wohl abschneiden wird? Und Mulroney? Oder JF?»
    Wie beim Trading würde einer antworten: «Tja, mein Markt für Greg ist 72 zu 77.» Markt war gleichbedeutend mit dem Bid-Ask-Spread, der Geld-Brief-Spanne. Das hieß, der Betreffende war bereit, zu 72 zu kaufen – weil er davon ausging, dass Greg besser abschnitt – und würde zu 77 verkaufen, weil er Greg mehr nicht zutraute.
    Sein Wettgegner konnte dann kaufen oder verkaufen. Wenn er davon ausging, dass ich unter 72 blieb, würde er sagen: «Ich kaufe zum Geldkurs für 72.» Dass bedeutete, 72 war nun der Bogey. War mein Ergebnis besser, würde der Käufer gewinnen. War ich schlechter als 72, würde der Verkäufer gewinnen.
    Wie viel? Der Mindesteinsatz in der Firma waren gewöhnlich 100 Dollar (ein «Hundo», wie es an der Wall Street hieß). Doch in Wirklichkeit ging es gar nicht ums Geld. Man wollte die jungen Analysten einschüchtern und provozieren. Man wollte den Druck erhöhen und ihnen klarmachen: «Setzt die Prüfung bloß nicht in den Sand.»
    Doch ich hatte das ungute Gefühl, dass mir genau das passieren könnte. Am Vorabend der Prüfung hatte ich in der Bibliothek gesessen und gelernt – in der riesigen, einschüchternden Bobst Library der New Yorker Universität im Village (zu der ich mir mit einem alten Studentenausweis aus Stanford Zutritt verschafft hatte). Ich rief einen befreundeten Analysten an, einen Schweden namens Kris Ekelund, und meinte: «Hör mal, ich schaffe bei den Übungsprüfungen immer nur Werte um 70 oder 72. Wenn das mal nicht ins Auge geht.» Für meinen Geschmack war das ziemlich knapp.
    «Mach dir keine Gedanken», entgegnete Kris. «Wir schaffen es – und nur darauf kommt’s an.»
     
    Als mein Taxi vor dem One Penn Plaza vorfuhr, hatten sich die anderen Junganalysten schon alle vor dem Gebäude versammelt und zappelten nervös herum. Ein paar saßen auf den Betonbänken und versuchten, schnell noch ein paar knifflige Fragen zu klären. Ich ging zu Starbucks und kaufte mir eine Flasche Wasser. Ich war zu angespannt, um Kaffee zu trinken. Jetzt keinen Mist bauen. Du darfst das auf keinen Fall vermasseln …
    Zum Lernen fand ich es zu spät. Also stand ich herum, unterhielt mich mit Bekannten und versuchte, einen klaren Kopf zu behalten. Mir war flau im Magen. Dann endlich fuhren wir gruppenweise in den sechzehnten Stock.
    Es war Viertel vor acht. Vor den Fenstern des Warteraums im Prometric Testing Center schimmerten die Bürotürme

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