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Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)

Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)

Titel: Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Smith
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Interesse ist und dass er mit dem großen Kontrakt auf dem Markt größere Bewegungen auslösen wird als mit dem Mini.»
    Daffey war ganz meiner Meinung. «Rufen wir ihn an», sagte er.
    Da Daffey den Kunden nicht kannte, riefen wir gemeinsam an. «Hören Sie», sagte Daffey, «hier spricht Michael Daffey. Ich bin der für Derivate zuständige Goldman-Partner. Es ist nicht in Ihrem Interesse, den großen Kontrakt zu handeln – Sie machen den Markt kaputt. Sie nehmen besser E-Minis.»
    Der Mann war nervös, hörte eine Stimme, die mit Autorität sprach und protestierte nicht.
    «Also gut», sagte er.
    Doch Daffey wollte die Transaktion ausdrücklich abgesegnet haben. «Ihnen ist klar, dass Sie E-Mini-Kontrakte über 2 Milliarden Dollar verkaufen?»
    «Ich bestätige das», sagte der Kunde.
    Daffey und ich hätten um 16 : 30 Uhr mit den anderen das Gebäude verlassen können. Wir hätten den Kunden die Transaktion so durchführen lassen können, wie er es ursprünglich vorhatte. Weil wir als Futures-Händler als Auftragnehmer auftraten (die auf Provisionsbasis arbeiten), nicht als Auftraggeber (die mit dem Geld der Firma als Kontrahent der Kundentransaktion agieren), hätten wir in beiden Fällen eine ähnlich hohe (nicht besonders hohe) Provision verdient. Geblieben sind wir, weil wir unseren Kunden beweisen wollten, dass wir sie nicht im Stich lassen, wenn sie uns brauchen. Wir hielten das für richtig. Zu einem anderen Kontrakt haben wir den Kunden überredet, weil es in seinem Interesse war – nicht in unserem.
    Um 16 : 30 Uhr öffnete der Markt wieder. Seit der Schließung hatte er ein paar Prozent verloren, und ich führte die Transaktion aus, ohne größere Marktreaktionen auszulösen.
     
    In der folgenden halben Stunde führte ich etwa zehn Transaktionen aus, alle für verängstigte Kunden, die sich auf Short-Seite engagieren wollten – jeweils über kleinere, aber dennoch maßgebliche Summen: über Nominalbeträge zwischen 50 und 500 Millionen Dollar. Gegen fünf Uhr hörte das Telefon auf zu klingeln. Daffey kam an meinen Platz. «Ich gehe jetzt», sagte er. «Das sollten Sie auch tun.» Noch wusste niemand, was den Stromausfall ausgelöst hatte. Doch inzwischen hatte sich die Klimaanlage im neunundvierzigsten Stock ausgeschaltet. So langsam wurde es heiß.
    Jede Faser meines Körpers wollte gehen, doch mein Kopf zwang mich zu bleiben.
    Corey hatte mir eingeschärft, dass ich mir bei hundertfünfzig täglichen Transaktionen abends unbedingt eine Stunde Zeit dafür nehmen sollte – auch wenn ich erschöpft war (und das war ich immer) –, jeden einzelnen Abschluss dreifach zu überprüfen, damit ich nicht am nächsten Morgen mein blaues Wunder erlebte, weil ich eine Null zu wenig oder eine zu viel eingetragen hatte – was Millionen kosten konnte.
    Um 17 : 30 Uhr machte ich Schluss. Bevor ich ging, rief ich noch meine zwei, drei wichtigsten Kunden an und sagte: «Ich bin im Aufbruch. Brauchen Sie noch irgendetwas?» Sie meinten: «Nein, wir gehen jetzt auch.» Ich war der Letzte im neunundvierzigsten Stock. Die Temperatur war inzwischen unerträglich. «Höchste Zeit, dass ich hier verschwinde», dachte ich.
    Ich schickte Michael Daffey eine E-Mail, aus der hervorging, was ich nach 16 : 30 Uhr noch erledigt hatte. «Kunde hat für 2 Milliarden Dollar verkauft. Alles reibungslos abgelaufen. Anbei die übrigen Transaktionen», schrieb ich und fasste alles Weitere kurz zusammen. «Ich gehe jetzt.»
    Er schrieb zurück: «Gute Arbeit, mein Junge. Mehr kann man nicht erwarten. Wenn Sie nicht wissen, wohin – ein paar Leute treffen sich bei mir in Tribeca.»
    Doch ich hatte zu diesem Zeitpunkt wirklich kein Bedürfnis nach der Gesellschaft von Arbeitskollegen. Ich wollte nur noch raus und nach Hause.
    Die Aufzüge funktionierten nicht, also stieg ich sämtliche Stockwerke zu Fuß hinunter. Das Treppenhaus wirkte im Schein der Notbeleuchtung unheimlich und war stickig und heiß. Als ich im Erdgeschoß ankam, waren meine khakifarbene Hose und mein blaues Brooks-Brothers-Hemd schweißnass.
    Auf der Straße drängten sich erhitzte, zermürbte Menschen. Manche saßen auf den Stufen vor dem Gebäude. Ich erkannte zwei der Sommerpraktikanten, die ich in unserer Abteilung betreut hatte. Plötzlich schoss mir durch den Kopf, dass sie ihr zehnwöchiges Praktikum am folgenden Tag beenden würden. Sie standen unter Strom und warteten auf die Nachricht, ob sie übernommen würden.
    Sie sahen mich erwartungsvoll an.

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