Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)
«Wissen Sie, was los ist?», fragte einer. Ich war nicht sicher, was er meinte – den Stromausfall oder die Entscheidung der Firma.
Ich konnte nur den Kopf schütteln. «Tja, Jungs, ein verrückter Abschluss eines Sommers», meinte ich.
Während ich in den Asphaltofen von Lower Manhattan hineinlief, wurde mir klar, dass mein eigenes Sommerpraktikum nur gefühlte fünf Minuten zurücklag, doch in Wirklichkeit drei Jahre vergangen waren. Gerade hatte ich während eines Stromausfalls Futures-Transaktionen über mehr als 2 Milliarden US-Dollar über die Bühne gebracht. Damit gehörte ich jetzt wohl endgültig zu den Erwachsenen.
Kapitel 5
Willkommen im Spielkasino
Ich saß in einem Whirlpool in Las Vegas – mit drei Vice Presidents, einem Managing Director, einem «Pre IPO»-Partner von Goldman und einer barbusigen Schönheit. Nein, das ist nicht der Anfang eines Witzes. Das ist tatsächlich passiert. Die Oberweite der jungen Dame wirkte – nun, sagen wir: überraschend unbeschwert. So wie die Stimmung im Pool insgesamt. Tim Connors, mein neuer Chef, im Unternehmen früher als «Mullet» bekannt, war einer der VPs, und wir anderen waren alle für seinen Junggesellenabschied eingeflogen worden. Tim trug eine Baseballmütze mit dem Logo eines Unternehmens namens TrendWatch. TrendWatch war eine Diagrammsoftware für Aktien zur Berechnung von Marktprognosen. Zu diesem Zeitpunkt war der Job für TrendWatch nicht besonders schwer. Der Markt bewegte sich nur in eine Richtung: nach oben.
Willkommen an der Wall Street in Boomzeiten.
Es war April 2006, und die tiefe Rezession in der Folge des 11. September war, wie es alle Rezessionen unweigerlich irgendwann tun, einer stetig wachsenden Blase gewichen, dank leicht verfügbarer Hypotheken und einer Notenbank, die billiges Geld ins Finanzsystem pumpte – ähnlich wie in den großen Kasinos in Las Vegas, in denen die Luft für die ahnungslosen Spieler mit zusätzlichem Sauerstoff angereichert wird.
Das einzige Problem bei Blasen ist, dass man oft nicht erkennt, dass man sich in einer befindet – bis sie platzt. Die Dotcom-Blase der neunziger Jahre war zu diesem Zeitpunkt eine Erinnerung aus grauer Vorzeit. Die Banker der Wall Street beglückwünschten sich gegenseitig für ihre Klugheit, genauso wie die Hausbesitzer, die sich daran erfreuten, dass ihre Häuser von Woche zu Woche immer mehr an Wert zulegten. Der Boom sorgte dafür, dass jeder sich bestätigt fühlte, ein kluger Kopf zu sein.
Auch ich selbst fühlte mich zumindest ein bisschen wie ein kluger Kopf. Ich hatte die brutalen Entlassungsrunden bei Goldman in den Jahren 2002 bis 2004 überstanden, und ich war vom Analysten zum Senior Associate befördert worden – ein Sprung, der für die Außenwelt bedeutungslos ist, den aber nur vierzig Prozent der Analysten schaffen. Er war deswegen bedeutsam, weil ich als Associate eine Festanstellung beim Unternehmen hatte – nicht mehr einen der auf zwei oder drei Jahre befristeten Analystenverträge, die die Firma nach Gutdünken verlängern oder auslaufen lassen kann. Die nächste Sprosse der Beförderungsleiter war der Rang eines Vice President, den man normalerweise nach vier Jahren als Associate erreichte, was den meisten Angestellten in den Bereichen Sales und Trading gelang. Die nächste Stufe war Managing Director und die höchste Ebene Partner – ein Level, das nur sehr wenige Leute erreichten. (Am angesehensten war man bei Goldman als sogenannter «Pre IPO»-Partner», also jemand, der schon vor dem Börsengang in dieser Position gewesen war: Viele von ihnen hatten dem Vernehmen nach beim Börsengang des Unternehmens 1999 Hunderte von Millionen Dollar verdient.)
Für Neulinge, die noch nicht auseinanderhalten konnten, wer Partner war und wer nicht, gab es ein paar einfache Tricks. So konnte man zum Beispiel auf den sogenannten Partnerlacher achten. Den hörte man, wenn es im Handelssaal mucksmäuschenstill war und ein beflissener VP plötzlich in schallendes Gelächter ausbrach und sich auf die Schenkel klopfte, weil ein Besucher einen Witz gemacht hatte. Die Ausdauer und Tonhöhe seines Lachens verriet, dass es sich bei diesem Besucher um einen wichtigen Partner handelte. (Eng mit dem Partnerlacher verwandt war der Kundenlacher. Er klang ähnlich gekünstelt, war aber der Umschmeichelung der wichtigsten Kunden vorbehalten und in aller Regel lauter und nicht so abrupt wie der Partnerlacher. Nur ein geübtes Ohr konnte den Unterschied hören.) Ein anderes
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