Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)
unterhielt? Doch die Chinesische Mauer, die zwischen den Abteilungen von Goldman Sachs gezogen war, machte es tatsächlich möglich. Ich durfte im Auftrag von Global Alpha Provisionsgeschäfte abwickeln mit Futures, Optionen oder Aktien an einer Börse wie der CME in Chicago oder der NYSE. Aus Compliance-Gründen durfte ich für diesen Kunden jedoch keinen «Eigenhandel» abwickeln – also Transaktionen, bei denen Goldman Sachs eigenes Geld hätte einsetzen müssen, um als Gegenseite in einem Handel mit Global Alpha aufzutreten. Solche Transaktionen können versteckte Kosten beinhalten, die man «Imbedded Spreads» nennt – im Gegensatz zu den pauschalen Gebühren, die im Provisionsgeschäft fällig wurden. 1
Doch lange Zeit waren die Provisionen, die Global Alpha generierte, ein großes Geschäft für unsere Abteilung und für mich – aufgrund der Größe des Fonds und der Dimension der Transaktionen summierten sie sich auf Millionen von Dollar. Und dann kam der Sommer 2007, und plötzlich musste ich mit ansehen, wie Carharts, Iwanowskis und Asness’ wunderbare Blackbox plötzlich einen Tag lang, zwei Tage lang, dann drei Tage und schließlich eine ganze Woche lang die Arbeit einstellte.
Das grundsätzliche Problem bei Computermodellen im Wertpapierhandel ist, dass sie die Außenwelt nicht mitberücksichtigen. Sie denken nicht. Die Psychologie bleibt bei ihren Berechnungen notgedrungen außen vor. Anders als Gary Cohn auf dem Rohstoffparkett können sie nicht das Weiße im Auge der anderen sehen. Und Gary hat sehr erfolgreich demonstriert, dass ein großer Teil des Handels darauf basiert, dass man die Emotionen anderer Händler versteht. Haben sie Angst? Sind sie in Panik?
Im Sommer 2007 schlich sich Angst in die Märkte ein, und die Computermodelle waren nicht in der Lage, auf diese Gefühlslage zu reagieren. Meine Kollegen und ich begannen, uns um Global Alpha und AQR Sorgen zu machen, als wir eine merkwürdige Veränderung an den Vitalfunktionen dieser Fonds bemerkten. Wir verfolgten immer, wie dicht die Performance dieser Fonds an einer Benchmark wie etwa dem S&P 500 blieb (jenem Index von fünfhundert Aktien, der als eine Art Blutdruckmessgerät für den Aktienmarkt fungiert). Normalerweise werden die Quant-Fonds mit nicht mehr als 10 bis 15 Basispunkten Unterschied zum S&P gehandelt (ein Basispunkt – kurz «Bp» – entspricht einem Hundertstel Prozentpunkt: 100 Basispunkte gleich ein Prozent).
Im Sommer 2007 wichen AQR und Global Alpha um mehr als 250 Basispunkte vom S&P 500 ab. Vollkommen unnormal.
Wir mussten herausfinden, was da vor sich ging – und um zu verstehen, was bei einer «Quant-Kernschmelze» tatsächlich passiert, muss man mit einem Quant reden. Glücklicherweise hatten wir eine Vertreterin dieser Zunft in unserem Team. Wie Cliff Asness hatte Helga einen Doktortitel in Wirtschaftswissenschaft der Universität Chicago, und sie kontaktierte andere Experten, die bei anderen Banken und Hedgefonds beschäftigt waren. Dann erklärte sie uns, dass die Quant-Fonds offenbar Opfer ihres eigenen Erfolges wurden. Es gab einfach zu viele von ihnen. Nicht nur AQR und Global Alpha benutzten dieses Modell. Es gab auch noch andere große, von «Wissenschaftlern» gemanagte Fonds, die mit Variationen von Cliffs Spezialrezept arbeiteten: Da gab es James Simons und Ray Dalio und D. E. Shaw und viele andere. Dass alle diese Unternehmen mit dem mehr oder weniger gleichen Modell arbeiteten, hatte zur Folge, dass Investmentchancen in stark kapitalisierten Märkten regelrecht belagert wurden, deshalb suchten die Computer zunehmend nach weniger liquiden und weniger breit gestreuten Investments. Je ausgefallener ein Wertpapier ist, desto weniger Käufer und Verkäufer gibt es dafür, deshalb kann es schwierig werden, eines dieser Investments zu realisieren. Obwohl Quants viel über die Gefahren von fehlender Liquidität nachdenken, unterlief ihnen an dieser Stelle ein Fehler: Sie konnten sich nicht vorstellen, dass alle zur gleichen Zeit aussteigen wollen. Sie waren so hypnotisiert von ihrem nicht enden wollenden Erfolg, dass sie einfach immer weiter das machten, was das Computermodell ihnen sagte.
Wenn der Computer ausspuckte: «10 000 Aktien von Lukoil kaufen», dann kauften Trader des Fonds den russischen Ölkonzern. Wenn der Computer sagte: «Maiweizen-Futures verkaufen», dann verkauften die Trader. Die Programme suchten nach immer ausgefalleneren Wertpapieren mit Bewertungsanomalien – und die
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