Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)
abgeschlossen kurz vor der Finanzkrise – sollte Libyen schon bald bereuen. Seine 1,3 Milliarden waren in kürzester Zeit verdampft – einfach weg. Ich konnte nicht glauben, dass Goldman Sachs wirklich mit Muammar al-Gaddafi und seinem Finanzminister ins Bett steigen wollte. Solche Geschäfte hätte die Firma vor ein paar Jahren garantiert abgelehnt, aus Angst vor dem möglichen Rufschaden, wenn bekannt wurde, dass man ein Land zu seinen Kunden zählte, das von der US-Regierung offiziell als Terroristenstaat bezeichnet wurde. Doch die Margen waren so groß, dass es offensichtlich schwerfiel, nein zu sagen.
Die Zeiten hatten sich endgültig geändert. Goldman und die Wall Street insgesamt wurden immer besser darin, die Angst und die Gier der Kunden gleichermaßen zu schüren. Das Verkaufsargument geht ungefähr so: «Die Welt geht in Stücke. Sie brauchen ein Wundermittel, um sich zu schützen und um ihre Wettbewerber auszustechen. Sie sollten dieses strukturierte Derivat-Produkt handeln, dass wir speziell auf Ihre Bedürfnisse zugeschnitten haben.»
Das Problem war: Es gab kein Wundermittel. Klar, die Kunden waren dumm, wenn sie diese Produkte handelten, andererseits glaube ich aber nicht, dass sie das Fachwissen mitbrachten, um sie zu verstehen, und ich glaube auch nicht, dass Nutzen und Risiken ihnen objektiv präsentiert wurden.
Es war dieses Klima der Angst, das meinem Kollegen Bobby Schwartz, dem «jüdischen John Kennedy», einen kometenhaften Aufstieg bei Goldman Sachs ermöglichte.
Ich lernte Bobby Ende 2002 kennen, als ich im zweiten Jahr Analyst war, zu Beginn meiner Zeit bei Corey Stevens in der Futures-Abteilung. Bobby war Analyst im dritten Jahr, ein Jahr älter als ich und ein seltsamer Bursche. Er war gutaussehend und sportlich, hatte dichtes Haar und diesen typischen Kennedy-Haarschnitt (daher sein Spitzname), gleichzeitig aber war er sozial völlig unbeholfen. Vieles von dem, was er sagte, klang, als wäre er ein bisschen vertrottelt. Er hatte eine erstaunliche Fähigkeit, komplexe Berechnungen im Kopf anzustellen, gleichzeitig war er extrem zerstreut. Er war ein Mathe-Nerd im Körper eines Dressmans – die beiden Hälften von Jerry Lewis’ Verrücktem Professor in einer Person.
Bobby hatte keinen einfachen Start bei Goldman, er kam hin und wieder zu spät zur Arbeit, und beim Handeln unterliefen ihm Fehler. Er vergaß Orders, kaufte, anstatt zu verkaufen, vertippte sich bei Multiplikatoren. Wer ihn zu dieser Zeit sah, dachte sich: Der überlebt hier nicht lange. Jedenfalls dachte ich es. Und doch blieb er irgendwie dabei, lernte langsam, aber sicher die Kunst der sozialen Interaktion und schaffte es, dass ein paar Vorgesetzte ihn mochten.
Als die Kunden im Sommer 2007 anfingen, in Panik zu geraten, war Bobby der richtige Mann für sie. Mit seinen quantitativen Fähigkeiten war es ihm ein Leichtes, intelligente, aber verängstigte Menschen von Transaktionen zu überzeugen, die der Firma erhebliche Mengen Geld einbrachten: dem Handel mit extrem komplexen strukturierten Produkten. Wenn der Kunde sagte: «Können Sie mir das erklären?», sagte er: «Natürlich – hier ist die mathematische Formel.» Und dann ging er sie Schritt für Schritt mit dem Kunden durch, das heißt, manchmal übersprang er auch den einen oder anderen Schritt, weil sein Kopf so schnell arbeitete.
Während die Märkte fielen, war Bobbys Stern am Steigen. Er musste mit seinen Ideen nicht die Kunden anrufen, die verängstigten Kunden riefen ihn an, und er berechnete ihnen für das Privileg, mit uns handeln zu dürfen, enorme Imbedded Spreads – Aufschläge, die für den Kunden nicht immer transparent waren. Und mit dem Wachsen seiner Umsätze wuchs auch sein Ego.
Er kam um neun Uhr morgens ins Büro, wenn alle anderen bereits um 6 : 45 Uhr erschienen waren. Er ging pünktlich um 16 : 16 Uhr, eine Minute nachdem der amerikanische Markt für Aktien-Futures geschlossen hatte. In der Derivate-Abteilung gab es zwei junge Burschen, die ihm den Rücken frei hielten, sich aber oft beklagten: Sie machten die ganze Arbeit, und er heimste den Ruhm und das Geld ein.
Aber Geld regiert die Welt. Da Bobby es schaffte, diese ernormen Einnahmen zu machen, konnte er kommen und gehen, wie es ihm gefiel. Niemand wusste, wo er war. Wenn jemand ihn fragte, warum er erst mittags zur Arbeit erschienen war, erklärte er mit vollkommen ernster Miene, dass er bei der Physiotherapie gewesen sei. Er war Marathonläufer, also war das
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