Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)
den Pazifik, um einen wichtigen Kunden in Asien zu besuchen. Ich reiste zusammen mit einem anderenVPund einem Partner namens Brett Silverman. Brett war nach der Business School zu Goldman gekommen und hatte sich in der Hoch-Zeit der Dotcom-Blase mit dem Handel von Bluechip-Technologiewerten (wie Microsoft) einen Namen gemacht. Er war ein Kulturträger, den man mit siebenunddreißig zum Partner gemacht hatte.
Nach der üblichen offiziellen Begrüßung trafen wir uns mit den Kunden in ihren Büros in einem Wolkenkratzer hoch über der asiatischen Metropole, mit einem phantastischen Rundblick. Wie üblich standen die Kunden – fünf insgesamt, darunter die Leiter des Portfoliomanagements und des Risikomanagements – auf einer Seite des Tisches. Wir drei waren auf der anderen Seite und warteten höflich, bis sich die Kunden zuerst hingesetzt hatten. Der Blick des Fonds-Chefs verriet Unsicherheit. Er suchte nach Orientierung. «Was denkt Goldman Sachs?», fragte er. «Sind wir über den Berg? Ist das Schlimmste überstanden?»
Brett schaute dem Kunden in die Augen. «Ich bin sehr optimistisch», sagte er. «Ich halte das für eine Anomalie. Ich glaube, die Lage wird sich bessern. Ich an Ihrer Stelle würde in den Markt einsteigen.»
Das hieß, er würde Aktien kaufen.
Ich saß überrascht daneben und wunderte mich über diese seltsame Aussage – nach allem, was ich gehört und gesehen hatte, gab es nicht viele Hinweise darauf, dass ein solcher Optimismus gerechtfertigt war.
War er naiv? Es ist komisch, ein solches Wort auf einen Goldman-Sachs-Partner anzuwenden – einen Mann, der zehn Ebenen über mir rangierte und geschätzte 5 Millionen Dollar im Jahr verdiente. Aber in diesem Moment kam es mir tatsächlich so vor. Eine der fünf größten Investmentbanken der USA ist gerade lebendig aufgefressen worden, und du gibst den Kunden grünes Licht? Es ergab für mich keinen Sinn.
Wenn er das ehrlich meinte – und ich halte das durchaus für möglich –, hätte er angesichts dessen, was uns in diesem Herbst noch bevorstand, nicht extremer danebenliegen können.
Ich war zwei Tage mit Brett Silverman unterwegs, und er wirkte wirklich gelassen. An diesem Abend lud er mich, den anderen VP und meine beiden asiatischen Ansprechpartner in ein traditionelles Restaurant in der Stadt ein. Wir saßen auf Matten auf dem Boden an einem niedrigen Tisch. Bevor die Kunden ankamen, zog Brett sein iPhone hervor. Das iPhone war nicht lange auf dem Markt, und es war noch etwas Ungewöhnliches, sich darauf ein Video anzuschauen. Und Brett hatte uns etwas ganz Besonderes zu zeigen: Er war es, der das berühmte Ulk-Video gedreht hatte – im Versteckte-Kamera-Stil –, das auf der Goldman-Weihnachtsfeier im vergangenen Dezember gezeigt worden war. Es war wirklich sehr witzig, und man konnte es sich gut noch einmal ansehen, solange wir warten mussten.
Brett hatte damals in einem der Konferenzräume der Firma versteckte Kameras angebracht und einen Schauspieler engagiert, der einen vielversprechenden Jobkandidaten darstellte, der angeblich gerade 100 Millionen Dollar für eine andere Bank verdient hatte und den wir abwerben wollten. Nun sollte er von mehreren Goldman-Partnern, die alle nichts von dem Scherz wussten, interviewt werden. Brett hatte allen Partnern erzählt, dieser Bursche sei großartig, wir müssten ihn unbedingt an Bord holen. Doch als die Partner hereinkamen, führte er sich wie ein komplettes Arschloch auf, legte seine Füße auf den Tisch und unterbrach seinen Gesprächspartner mit der Frage, ob er ihm etwas zu essen bestellen könnte. Als er ein Sandwich bekam, steckte er sich die Serviette in den Hemdkragen. Die Interviewer waren ausnahmslos hohe Tiere in der Firma, und langsam begann ihr Blutdruck zu steigen, und sie wurden ungehalten.
Einer von ihnen fragte den Kandidaten: «Was sind Ihre Ideale?»
«Mein Ideal wäre es, zwei Hubschrauber zu haben», sagte der Kerl mit völlig ernster Miene. «Ich würde gern Ski fahren, und ein Hubschrauber würde mich oben absetzen, und wenn ich unten ankomme, wäre der andere dran.»
Schließlich war das Gespräch zu Ende. «Haben Sie noch Fragen an uns?», sagte einer der Partner.
«Ich habe eine Reihe von psychischen Problemen», sagte der Kandidat. «Wie sieht die betriebliche Krankenversicherung für psychiatrische Behandlungen aus?»
Als die asiatischen Fondsmanager auftauchten, lagen wir drei vor Lachen am Boden. Wir hatten ein wundervolles Essen in gelöster Stimmung
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