Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)
für irgendwelche Geschäfte, die die Firma gerade im Sinn hatte –, dachten sich Goldman Sachs und die anderen Banken den «Funding-Handel» aus.
Es funktionierte so: Ein Kunde – sagen wir, ein deutscher oder holländischer oder amerikanischer Vermögensverwalter, eine Pensionskasse oder ein Staatsfonds aus Asien oder Nahost – gab der Firma eine substanzielle Menge Geld (sagen wir 500 Millionen Dollar) für die Dauer eines Jahres. Dafür garantierte die Firma, dem Kunden die Rendite einer von ihm ausgewählten Benchmark (sagen wir des S&P-500-Index oder des Russell-2000-Index) zu zahlen plus einen zusätzlichen, sehr großen Kupon (sagen wir zwei Prozent – ein Satz, den der Kunde nirgendwo anders bekommen hätte). Im Endeffekt konnte sich Goldman auf diese Weise große Geldsummen gegen zwei Prozent Zinsen leihen, im Gegensatz zu realen Kreditkosten von vielleicht vier Prozent.
Das war der Vorteil für Goldman. Der Haken für den Kunden bestand darin, dass der ein sogenanntes Gegenparteirisiko in Kauf nahm – was vollkommen in Ordnung aus der Sicht von Investmentbankern wie Lloyd Blankfein, aber für Laien überaus heikel ist, denn es besteht schlicht und einfach darin, dass, wenn Goldman Sachs Bankrott machte, sich auch das Geld des Kunden in Luft auflösen würde.
Aber wie wahrscheinlich war es, dass Goldman Sachs – Goldman Sachs – Bankrott machte? Das konne ja gar nicht passieren. Bear Stearns war dumm gewesen, einen so großen Teil seines Geschäfts in Subprime-Hypotheken festzulegen. (In Wirklichkeit war es dumm gewesen, so viel auf Subprime-Hypotheken zu wetten und nicht dagegen .)
Ich sagte zu meinen Kunden: «Hören Sie, Sie müssen eine Entscheidung treffen. Glauben Sie, dass Goldman Sachs Bankrott machen wird? Wenn die Antwort auf diese Frage für Sie ja lautet, dann sollten sie die Finger vom Funding-Handel lassen. Wenn Sie aber glauben, dass Goldman Sachs in einem Jahr noch da sein wird, dann sollten Sie dieses Geschäft machen, denn damit werden Sie Ihre Benchmark um zwei Prozent übertreffen, und diese zwei Prozent werden Ihr Jahr retten.» Im Winter 2008 fiel es mir leicht, dieses Verkaufsargument vorzutragen, ohne eine Miene zu verziehen. Trotz der Bear-Stearns-Geschichte hielt ich eine Insolvenz von Goldman Sachs für etwa so wahrscheinlich wie dass uns der Himmel auf den Kopf fallen würde. Andere Dominosteine mochten umfallen, aber wir würden der letzte sein, der stehen blieb.
Viele der Kunden, die den Funding-Handel mitmachten, sollten es noch vor Ende des Jahres bereuen. Als im Herbst – auf dem Höhepunkt der Finanzkrise – jede Woche ein neues Finanzinstitut den Bach runterging, wollten zahlreiche Kunden ihr Geld vorzeitig zurückhaben. Einige Banken reagierten maßvoll auf diesen Wunsch und sagten ihren Kunden: «Sie können Ihr Geld zurückhaben – zu fünfundsiebzig bis achtzig Prozent vom Nominalwert. Wir werden einen Betrag daran verdienen, der den aktuellen Aufruhr der Finanzwelt widerspiegelt, aber wir werden Ihnen nicht das letzte Hemd ausziehen.» Goldman Sachs dagegen machte es seinen Kunden sehr viel schwerer, um nicht zu sagen unmöglich, ihr Geld zurückzubekommen. Unter extrem enger Auslegung der «Auflösungsklauseln» in den Verträgen bot Goldman den Kunden weit weniger als die anderen Banken – vielleicht sechzig Prozent vom Nominalwert. Damit verärgerte man eine Reihe von wichtigen Institutionen. Es gibt große Kunden in Europa, die aufgrund des damaligen Verhaltens von Goldman bis zum heutigen Tag keine Geschäfte mehr mit der Firma machen.
«Unsere Aktivposten sind unsere Leute, unser Kapital und unser Ruf. Und kein Verlust wiegt schwerer als der des Letzteren.» Das ist der zweite der «Vierzehn Grundsätze» von Goldman Sachs. Der Kommentar, den einer der europäischen Partner während der Krise abgab, brachte auf den Punkt, wie weit sich Goldmans Geschäftsprinzipien mittlerweile davon entfernt hatten. Einige Kollegen im Sales waren während der Krise extrem frustriert, weil sie die Trader nicht dazu bewegen konnten, den Kunden faire Preise zu machen. Sie wandten sich in dieser Angelegenheit an den Partner, und der gab ihnen zur Antwort: «Wenn ich mich zwischen meinem Ruf und meinem Betriebsergebnis entscheiden muss, dann entscheide ich mich für mein Betriebsergebnis. Mein Ruf lässt sich wiederherstellen, aber mein Geld ist futsch.»
Im April 2008, ein paar Wochen nach dem Untergang von Bear Stearns, bestieg ich ein Flugzeug und flog über
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