Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)
– das Gespräch drehte sich meist um andere Dinge als das Geschäft. Vielleicht war ja doch alles in Ordnung.
Im Sommer 2008 kehrte an den Märkten eine seltsame Ruhe ein. Jeder wartete auf die nächste Hiobsbotschaft. Niemand wusste, was als Nächstes passieren würde – nicht einmal Finanzminister Hank Paulson und der Chef der New Yorker Federal Reserve, Tim Geithner. Rückblickend hätten Paulson und Geithner sicherlich besser daran getan, etwas intensiver an einem Notfallplan zu arbeiten. Es gab Finanzanalysten an der Wall Street, die prophezeiten, dass es zu einer Kettenreaktion kommen würde, dass eine Bank nach der anderen ins Wanken geraten könnte, von der kleinsten und schwächsten bis zur größten und stärksten. Es wurde bereits spekuliert, welche als Nächste dran wäre.
Am Freitag, dem 12. September 2008, wusste jeder, dass nun für Lehman Brothers der Tag der Abrechnung gekommen war – entweder würde jemand sie retten, oder sie mussten Insolvenz anmelden. Tief in meinem Inneren glaubte ich nicht, dass man zulassen würde, dass es so weit kommen würde, aber es gab auch den Gedanken, dass es vielleicht das Richtige wäre, wenn es dazu kam. Sterbende Tiere soll man sterben lassen. Als ich an diesem Tag das Büro verließ, wusste ich, dass die Ereignisse des Wochenendes entscheidend sein würden – aber es gab nichts, was ich oder ein anderer der unzähligen Menschen an der Wall Street hätte tun können, außer am Fernseher und an unseren BlackBerrys zu hängen. Wir warteten auf Nachrichten von der Federal Reserve, wo die Chefs der mächtigsten Finanzinstitutionen des Landes mit Paulson und Geithner zusammensaßen und versuchten, die härteste Nuss ihres Lebens zu knacken.
An Samstag, dem 13. September, war ich mit Nadine und einem anderen Pärchen zum Abendessen bei einem meiner Lieblingsitaliener verabredet, dem Supper, im East Village. Es war ein ziemlicher Weg von der Upper West Side, aber es war ein Wochenende für gutes, solides italienisches Essen. Das andere Pärchen arbeitete ebenfalls in der Finanzbranche, er in einer Private-Equity-Gesellschaft und sie bei einem Hedgefonds. Unsere Stimmung an diesem Abend war bestimmt nicht Panik, aber es herrschte doch eine Art Verwunderung. Wir konnten nicht aufhören, uns immer wieder zu sagen, wie surreal die Welt, in der wir lebten, geworden war. Es war, als wären wir in einem Film. Ich erinnere mich, wie ich an diesem Abend sagte, dass jeder, der behauptet hätte, Bear Stearns und Lehman Brothers würden im Abstand von wenigen Monaten beide von der Landkarte verschwinden, noch vor ein paar Jahren zweifellos für verrückt erklärt worden wäre. Das war Stoff für einen verrückten Science-Fiction-Film.
Und die Sache sollte noch seltsamer werden.
Im Verlauf dieses Wochenendes vom 13. und 14. September kippten sowohl Lehman Brothers als auch Merrill Lynch. Wie sich herausstellte, hatten sich beide genauso stark im Markt mit Subprime-Hypotheken engagiert wie Bear Stearns. Am Sonntag wurde Merrill Lynch von der Bank of America aufgekauft, und in den frühen Morgenstunden des Montags beantragte Lehman Brothers Insolvenz. Es war der größte Bankrott in der Geschichte der USA. Nachdem zwei Investmentbanken gestürzt waren, war es für den Rest von uns nur noch eine Frage der Zeit, bis auch wir ins Fadenkreuz gerieten.
Und die Hiobsbotschaften rissen nicht ab. Am Montag, dem 15., verlor der Dow Jones etwas mehr als 500 Punkte, der größte Absturz seit dem 11. September. Geldmarktfonds – das sicherste Investment, das es gibt, mit winzigen Renditen – fingen an, negative Renditen auszuweisen. Hätte man zu diesem Zeitpunkt seine Mittel in den Geldmarkt gesteckt, dann hätte man weniger zurückbekommen, als wenn man es unter die Matratze gelegt hätte. In den USA nennt man das «breaking the buck» – den Dollar kaputtmachen. Niemand hatte für möglich gehalten, dass das jemals eintreten könnte. Es trat ein.
Nach dem Verschwinden dreier Investmentbanken musste unsere Aktie, ebenso wie die Aktie von Morgan Stanley, am Montag, dem 15. September, starke Einbußen hinnehmen. Am Dienstag dieser Woche fiel die Aktie von AIG um sechzig Prozent – und das, nachdem sie zuvor bereits um fünfundneunzig Prozent gefallen war, gemessen an ihrem 52-Wochen-Hoch von 73,12 Dollar. AIG war das größte Versicherungsunternehmen der Welt. Ging es ihm schlecht, hatte das Auswirkungen auf Millionen von Menschen in praktisch jedem Land der Erde. Das
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