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Die Ungehorsame Historischer Roman

Titel: Die Ungehorsame Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Pokal schwenkte.
    »Ja, Leonie, sie haben einander. Zwillinge sind sich sehr nahe. Wir kennen uns schon aus der Zeit vor der Geburt, wir wachsen miteinander auf, wissen um jede Regung des anderen, die Bedeutung jeder Mimik, jeder Haltung, jedes Tonfalls. Als Urs gestorben war, blieb nicht nur die Wunde aus Trauer und Schmerz zurück, sondern auch eine unsagbare Leere. Einsamkeit, Leonie, herzzerreißende Einsamkeit blieb zurück. Es gab Tage, da konnte ich sie kaum ertragen. Wir hatten so vieles geteilt, wir konnten uns - wie Lennard und Ursel - alles miteinander anvertrauen, Dinge, die man nie einem anderen Menschen gegenüber erwähnt. Es ist etwas Besonderes an einem solchen Verhältnis. Ich hatte nie damit gerechnet, so etwas in meinem Leben je wiederzufinden.« Er stellte das Glas ab und legte seine Hand auf die ihre. »Und doch habe ich jetzt einen Menschen bei mir, der die klaffende Wunde der Einsamkeit geheilt hat. Leonie, meinen Bruder werde ich immer vermissen, aber du hast eine Stelle in meinem Herzen eingenommen, die der seinen sehr ähnlich ist. Danke, Leonie. Danke, dass du bei mir bist.«
    »Ach Leo!« Leonie wischte die Tränen mit dem Handrücken ab, die ihr über die Wangen liefen. »Ich wollte nicht weinen. Aber - ja, ich bin so froh, dass ich deine Freundin sein kann.«
    »Freundin, Schwester, Gattin, Geliebte. Alles das bist du für mich. Was kommt, wird nicht leicht werden, aber mit dir zusammen werde ich auch den letzten Schritt mit Erfolg gehen. Und dann liegt ein neues Leben vor uns. Es wird schön sein, es mit dir gestalten zu können.«
     
    Am zweiten Tag der Reise unterhielt Leo die Kinder mit Erzählungen aus seiner Jugend, und nicht nur sie lauschten begeistert, wenn er von Streichen und Abenteuern berichtete, die er mit Urs zusammen erlebt hatte. Er war ein guter Erzähler, entwarf kleine Bilder und Szenen, in denen jene Menschen auf charakteristische Weise agierten, mit denen sie in den nächsten Tagen zusammenleben würden. Er brachte ihnen ihren Vater nahe damit, aber auch die Gegend, in der sie aufgewachsen waren. Leonie lernte viel dadurch, vor allem etwas über seine Gefühle der Heimat und der Familie gegenüber.

    »Du hast eine glückliche Kindheit gehabt, Leo.«
    »Ja, ich habe eine glückliche Kindheit gehabt. Das ist etwas, was man nie vergisst. Und ihr zwei sollt ebenfalls später sagen können, es habe Augenblicke wie aus Gold gesponnen gegeben, an die man sich in schweren Zeiten erinnern kann. Ich bedaure unendlich, dass ihr ein paar schwere Jahre durchmachen musstet.«
    »Das Waisenheim war grässlich!«, sagte Ursel nickend. »Wir durften nicht zusammen sein.«
    »Aber ich vermute, ihr habt es trotzdem geschafft.«
    Lennard grinste. »Natürlich!«
    »Wie haben Sie uns eigentlich gefunden, Onkel Leo?«
    »Es war ein wenig schwierig, das gebe ich zu. Dummerweise war ich ein Jahr lang ziemlich krank. Und zwar ausgerechnet in dem Jahr, in dem eure Großmutter starb. Deshalb hat man euch ja ins Waisenheim gegeben. Als Ernst von seiner Reise nach Deutschland zurückkehrte, hat er sich sofort auf die Suche nach euch gemacht, aber es gestaltete sich kompliziert, weil niemand zu wissen schien, wo ihr gelandet seid. Als er dann die Fabriken, in denen Kinder arbeiteten, abgesucht hat, fand er euch und schrieb mir sofort. Er hat auch dafür gesorgt, dass ihr zu dem Brillenmacher ziehen konntet und nicht mehr in der Spinnerei schuften musstet. Ich war inzwischen auch wieder gesund genug, um die Heimreise anzutreten. Den Rest kennt ihr.«
    »Nein, Onkel Leo, aber das macht nichts.«
    Leonie stellte fest, dass ihr Gatte ein wenig irritiert dreinblickte, und unterdrückte ein Lächeln. Zauberhafte Kinder, wirklich!
    »Was macht nichts, Lennard?«, wollte Leo wissen.
    »Dass wir nicht wissen, warum Sie den Verbrecher wirklich verfolgen, warum Sie jetzt nicht mehr Herr Mansel sind, warum Sie Tante Leonie geheiratet haben und woran unser Vater wirklich gestorben ist.«
    Leonie legte ihrem sprachlosen Gemahl die Hand auf den Arm und sagte mit sanfter Stimme: »Ihr werdet auf all diese Dinge Antwort erhalten, wenn sich auch für uns die letzten Fragen geklärt haben. Das ist ein Versprechen, Ursel, Lennard. Ich weiß, ihr denkt viel weiter, als ihr uns zeigt. Ihr seid zu klug, um nicht zu bemerken, dass es Lücken in unseren Berichten gibt. Gebt eurem Onkel noch
etwas Zeit, damit er die Wahrheit in vollem Maße herausfinden kann.«
    Und weil sie sich ernst genommen fühlten, nickten die

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