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Die ungehorsame Tochter

Die ungehorsame Tochter

Titel: Die ungehorsame Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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nun verletzte, dann konnte das nur eine kleine Ungeschicklichkeit sein, die sie höflich übergehen
     musste.
    «Im Argen?», sagte sie und bemühte sich um eine feste Stimme. Sie hatte nie daran gedacht, der wohlorganisierte reiche Haushalt
     ihrer Familie könnte jemals und auch nur im Geringsten in Unordnung geraten. «War er denn damals schon krank?»
    «Krank?» Klemens’ Blick kehrte zu ihr zurück, aber er blieb dunkel. «Nein, das nicht. Er, nun ja, wie soll ich es sagen, er
     war wohl nicht sehr glücklich. Alle, die er geliebthatte, hatten ihn verlassen. Wie Ihr sehr wohl wisst. Für ihn war seine Familie gestorben. Seine ganze Familie», fügte er
     mit einem kleinen Lächeln hinzu, als habe er gerade ein charmantes Kompliment gemacht. «Außerdem kamen in jener Zeit die Nachrichten,
     dass seine Geschäfte, ich meine seine Minen, kaum mehr Erträge brachten. Dieser Luxus», entfuhr es ihm plötzlich scharf, «dieser
     Luxus, der für Euch Alltag war, während wir, meine Mutter und ich   …», er atmete tief, trank einen Schluck und fuhr genauso plötzlich ruhig und freundlich fort: «Meine Mutter und ich haben
     natürlich auch stets im Wohlstand gelebt. Mein Vater hat uns mehr als gut versorgt hinterlassen. Dennoch zogen wir die Bescheidenheit
     vor, höfische Sitten waren nie unsere Art. Unser Reichtum galt uns zugleich als christliche Verpflichtung, zuerst an die Armen
     zu denken, wohltätig zu sein
.
Doch das ist keine Sache, um viel darüber zu reden. Lasse die Rechte nicht wissen, was die Linke tut. Jedenfalls hat Euer
     Vater nicht wieder geheiratet. Vergesst nicht, er hat in mir einen Sohn. Einen guten Verwalter seines Erbes. Er brauchte niemanden
     sonst. Wozu also hätte er wieder heiraten sollen?»
    Darauf wusste Rosina nun keine Antwort mehr, und bald darauf entschuldigte sie sich mit ihrer Müdigkeit und ging hinauf in
     ihr Zimmer. Irgendetwas war geschehen, irgendetwas hatte sie gehört, das sie verwirrte. Einiges, was Klemens gesagt hatte,
     schien ihr nicht zueinanderzupassen. Was? Es waren nicht zuerst Klemens’ Worte gewesen. Manche hatten sie verletzt, aber sie
     waren die Wahrheit, und die musste sie ertragen. Nein, nicht seine Worte, sondern die Weise, in der er sie gesprochen hatte.
     Sie war zu erschöpft, um nun noch ihren Gedanken zufolgen. Erschöpfter als an jedem anderen Abend dieser Reise. Dennoch, gerade die Bitternis dieses Abends hatte sie fühlen
     lassen, wie groß ihre Hoffnung auf Versöhnung war.
    Bald nach Sonnenaufgang ließen sie am nächsten Morgen ihre Pferde satteln und ritten aus der Stadt weiter nach Südosten. Die
     Hügel wurden nun höher, der Ritt anstrengender, und nachdem sie Wolfenbüttel passiert hatten, wuchsen die Höhen des Harzes
     aus dem dunstigen Horizont.
    Sie erreichten Osterwieck im lieblichen Tal der Ilse am späten Nachmittag. Ein Roter Milan, leicht zu erkennen an den gewinkelten
     Flügeln und dem gegabelten Schwanz, kreiste im ruhigen Flug über dem Stadttor, als sei er eigens dazu bestellt, Reisende in
     die uralte Stadt hinter ihren mit dreizehn Türmen bewehrten und von drei Toren durchbrochenen Mauern zu locken. Einst war
     sie eine der reichsten dieses Landstrichs gewesen, und wenn auch Handel und Handwerk neu auflebten und auch das umliegende
     satte Bauernland den Niedergang beinahe vergessen machten, hatte die Stadt sich nie ganz von den Verheerungen des dreißig
     Jahre währenden Krieges des vergangenen Jahrhunderts erholt.
    Vor dem Tor hatte Klemens vorgeschlagen, noch eine oder zwei Stunden weiterzureiten. Der Ritt im Flusstal sei leicht und der
     klare Himmel verspreche einen langen Tag. Es sei töricht, kostbare Zeit zu verschenken. Aber Rosina hatte entgegnet, sie sei
     sehr müde. Da sie der nächste Tag bis ins Gebirge führen werde, sei es besser, nun auszuruhen, um für die schwierigste Strecke
     ihrer Reise Kräfte zu sammeln. Sie bemühte sich, das auch selbst zu glauben.
    Tatsächlich ließen sie die abweisende Silhouette des Gebirges und eine wachsende Beklommenheit die längere Rast wünschen.
     Ein zweifellos unvernünftiger Wunsch, denn egal, wie schnell oder langsam sie vorankamen, am Ende musste sie sich doch ihrer
     Vergangenheit stellen. Und tat sie das in den Bildern ihrer Erinnerung nicht schon längst?
    Und Klemens? Er war schweigsam, und obwohl er bei jeder Rast wieder zu dem heiter plaudernden Mann der gemeinsamen Zeit in
     Altona wurde, schien er in sich verschlossen. Dennoch war er stets an ihrer

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