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Die ungehorsame Tochter

Die ungehorsame Tochter

Titel: Die ungehorsame Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Wirt des Gasthauses
Zum Bremer Schlüssel
in der Neustadt, besucht – gleich zwei gute Gründe, Rosina auf ihrem Weg zu Gesines Stoffhändlerin zu begleiten.
    Rosina bewunderte Gesines Kunstfertigkeit, aus scheinbar überflüssigen Stofffetzen, Resten von Spitze und alten Goldfäden
     fürstliche Roben zu zaubern. Auch die schlichten Kostüme nähte sie oft aus edlen, für eine Komödiantengesellschaft wie die
     Becker’sche eigentlich viel zu teuren Stoffen. Nun lernte sie Gesines Geheimnis kennen: ein Labyrinth enger staubiger Räume
     auf dem ersten Boden eines ehemaligen Speichers, der aussah, als stehe er seit Barbarossas Zeiten auf der Cremoninsel. Zimmerchen
     für Zimmerchen voller bis unter die Decke reichender offener Schränke und Regale. Alle waren gut gefüllt mit Stoffen und Spitzen
     aller Art, mit Schachteln für Knöpfe, Papier- und Seidenblüten, Nähgarnen, Glasperlen und all den Kinkerlitzchen, die in eine
     gut ausgestattete Schneiderei gehören. Das meiste allerdings angestaubt, manches verfärbt oder stockfleckig.
    Das ganze Haus summte von Menschen, die in dem schiefen, offensichtlich nur durch Nachbarhäuser aufrecht gehaltenen Gemäuer
     wohnten und auch ihre kleinen Geschäfte betrieben. Eindeutig Geschäfte mit Waren, die der Wedde besser verborgen blieben.
     Auch die Geräusche vom obersten Boden, das betrunkene Kreischen einer Mädchenstimme war noch das unverfänglichste, hätte Wagner
     mit all seinen Weddeknechten und einer ganzen Abteilung Stadtsoldaten umgehend zur Tat schreiten lassen.
    Die Vorstellung, dass ausgerechnet die strenge Gesine in diesem Sündenbabel feilschte und ihre Stofftruhe auffüllte, sobald
     die Becker’schen in Hamburg gastierten, fand Rosina grandios. Obwohl sie zugleich der Gedanke beunruhigte, wie wenig man einen
     Menschen tatsächlich kennt, den man doch schon so viele Jahre gut zu kennen glaubt.
    Nichts als Reste von den feinen Läden am Jungfernstieg und am Gänsemarkt, lispelte die Besitzerin, die sich Madame Céline
     nennen ließ, eine penetrante Duftmischung von Fisch, Pfefferminzliqueur und Veilchen verströmte und mitten in der Verhandlung
     um den Preis für eine besonders delikate Silberlitze flink auf dem obersten Boden für Ruhe sorgte. Auf ihre Frage, wieso die
     Schneider dort ganze Ballen von Brokat, Caffa und Seide als Reste bezeichneten, fühlte Rosina umgehend einen heftigen Schubs
     von Titus’ Ellenbogen, und sie beeilte sich, selbst zu antworten: Ja, so sei das eben am Jungfernstieg. Die reinste Verschwendung.
     Und: Wie gut, dass es verdienstvolle Menschen wie Madame Céline gebe, die auch daraus etwas zu machen verstünden.
    Das fand Madame Céline auch und legte dieser so ungemeinverständigen jungen Frau zwei kleine Knöpfe von Perlmutter gratis in ihren gutgefüllten Beutel. Als sie endlich wieder auf
     der Straße standen und sich den Schmutz von Madame Célines staubiger Höhle von den Kleidern klopften, fand auch Rosina, es
     sei höchste Zeit für ein Glas Wein.
    Die Tür des Gasthauses
Zum Bremer Schlüssel
stand weit offen. Auch Jakobsen roch den Frühling, und wenn er schon nicht wie einige Wirte der besseren Häuser über einen
     Garten im Hof verfügte, in dem er seine Gäste bei schönem Wetter bedienen konnte, wollte er ihnen wenigstens die frische Luft
     nicht vorenthalten. Was heute allerdings nicht erwünscht war.
    An einem der mit weißen Leintüchern gedeckten hinteren Tische für die besseren Gäste saßen zwei dunkelgekleidete Männer über
     einer Mappe voller Dokumente, zu tief in ihr leises Gespräch vertieft, um sich um solche Nebensächlichkeiten zu kümmern. Doch
     als Rosina und Titus die Schenke betraten, gerieten sie mitten in einen heftigen Disput zwischen dem Wirt und einem anderen
     Gast, der mit seinem Kumpan an dem langen Tisch gleich neben dem Bierfass hockte. Es ging um die Gefahren, die zu viel frische
     Luft für den menschlichen Körper bedeutete.
    «Du kannst da nicht mitreden, Jakobsen», entschied der Alte, das Gesicht unter grauem Zottelhaar schrumpelig wie eine Backpflaume.
     «Wir wissen das besser.» Er sah den anderen auffordernd an, aber der zog nur dösend an seiner Tonpfeife und dachte nicht daran,
     sich die Großzügigkeit des Wirtes durch überflüssige Aufmüpfigkeiten zu verscherzen. «Jakobsen drückt sich sein Leben lang
     hinter seinem Schanktisch rum, immer im Warmen undweit und breit kein Sturm, von Seeschlangen und wildgewordenen Walen gar nicht erst zu reden. Oder

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