Die ungehorsame Tochter
halten, sind teuer und gut zu gebrauchen. Oder zu verkaufen. Natürlich müssen die Schiffer wie überall auch
für jede Elbfahrt noch ein Tonnengeld zahlen, aber das ist gering, die Admiralität muss Jahr für Jahr draufzahlen. Und dann
muss mindestens einmal im Monat die Elbmündung neu ausgelotet werden, der Sand ist ja immer in Bewegung, nach jedem Sturm
werden Tonnen, Baken und Leuchtfeuer kontrolliert – das alles kostet.»
«Der Vater des toten Mädchens», sagte Rosina, «soll zu den Övelgönner Lotsen gehören. Liegen die Hamburger mit denen auch
im Streit?»
«Nein. Jedenfalls nicht mehr, inzwischen gibt es Abkommen, die aber auch längst nicht jedem gefallen. Die Hamburger in Cuxhaven
bringen die Schiffe bis zur Station bei St. Margarethen. Die dänischen haben das Recht, die Schiffe dort zu übernehmen und nach Altona oder Hamburg zu bringen. Sie dürfen
auch von Hamburg wieder elbabwärts lotsen.»
«Die hannöverschen Lotsen», erinnerte Rosina an den Streit, um den es eigentlich ging, «haben den Hamburgern also ihre Geschäfte
weggeschnappt. Deshalb wird jetzt gestritten?»
«Sie verhandeln seit Jahren immer wieder. Alle Proteste vom Hamburger Rat und vom dänischen König haben nichts genützt. Jetzt
heißt es, dass man sich bald arrangieren wird. Aber die haben sich schon so ans Streiten gewöhnt wie die Herren Unterhändler
ans gute Essen und Trinken, ohne das sie nun mal nicht debattieren können, ich kann mir nicht denken, dass ein Vertrag zwischen
den Stadern und denen am nördlichen Ufer wirklich Ruhe bringt.»
«Der Mensch als solcher», sagte Titus und sah bedauernd in sein schon wieder leeres Glas, «ist ein Streithammel. Die ganze
Bibel ist voll davon, und so wird’s auch bleiben. An den Grenzen sowieso.»
«Gut, dass nicht alle so griesgrämig wie du sind, alter Freund», parierte Jakobsen und stieß Titus grinsend den Ellenbogen
in die Seite. «Bei dieser Streiterei geht’s allerdings nicht nur um Pfründen und Verträge. Die ersten drei, die auf die hannöversche
Seite gingen, die sozusagen zum Feind überliefen, gehörten zu den Neumühlenern und Övelgönnern, also den dänischen Lotsen.
Sie wollten aber nicht in die neue Gesellschaft eintreten und sind lieber ans andere Ufer gewechselt. Ich weiß nicht, was
für eine Fehde da tatsächlich getobt hat, kann aber gut sein, dass das was mit Hörne zu tun hatte. So was reden die Leute
jedenfalls, obwohl die Lotsen keine sind, die viel über ihre Angelegenheiten sprechen. Kann auch sein, dass sie da nur Extraordinäre
Lotsen sein durften, und vielleicht hat Hörne nicht zugelassen, dass sie …»
«Extraordinäre?», fragte Titus.
«So ’ne Art Unterlotsen, die verdienen nur halb so viel wie die Ordinären Lotsen. Etwa so wie bei den Hamburgern die Hauerlotsen.»
«Hauerlotsen?»
«Eben auch so ’ne Art Hilfslotsen, Titus. Sie bekommen immer erst ein Schiff, wenn die anderen schon eins haben und unterwegs
sind. Manchmal werden viele Lotsen gebraucht, manchmal wenige. Ganz nach Wind, Wetter und Jahreszeit. Die Hilfslotsen kriegen
oft kaum ihre Kinder satt.»
«Ich bin nicht sicher, ob ich alles verstanden habe, Jakobsen», sagte Rosina, «aber ich kann mir nicht vorstellen, dass wegen
so einer alten Rivalität die Tochter eines Lotsen getötet wird. Was sollte das Mädchen damit zu tun haben?»
«Die Anna», mischte sich nun der alte Broder ein, der, sosehr er sich auch bemüht hatte, auf seiner Bank beim Schanktisch
nur Wortfetzen verstanden hatte und näher gerückt war, «die Anna war ’ne ganz Kecke, und Zacharias Hörnes neue Frau konnte
die nicht leiden. Hörne hat sie rausgeschmissen, das hat er. Und dass sie was mit dem jungen Paulung hatte, hat ihn fuchsteufelswild
gemacht.»
«Hör auf, solchen Unsinn zu erzählen, Broder, und setz dich wieder auf deine Bank.» Jakobsen wandte sich ärgerlich nach ihm
um. «Das Mädchen hat bei ihrer Tante gelebt, weil die den ganzen Winter über krank war. Rausgeschmissen? Das ist Unsinn. Das
hätte Hörne nie getan. Schon weil sonst die Leute geredet hätten. Dem geht doch nichts über seine Familienehre.»
«Genau.» So leicht ließ sich Broder nicht abwimmeln. «Und der junge Paulung, der Matthias, ist der Sohn vom alten Paulung,
und der gehört zu den ersten Stadern. Hörne und Paulung, der alte meine ich, sind wie zwei Bullen, die ’ne Hornisse gestochen
hat, wenn sie sich nurvon ferne sehen. Das war schon immer
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