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Die ungehorsame Tochter

Die ungehorsame Tochter

Titel: Die ungehorsame Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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etwa nich? Lüders?»
    Anstelle von Lüders, der nicht mal die Augen öffnete, antwortete Jakobsen: «Wenn’s dir zu frisch ist, Broder, nimm dein Bier
     und verzieh dich in die Nische dahinten. Da erwischt dich kein Lüftchen, du kannst in den Hof gucken und hast deine Ruhe.
     Und ich auch.»
    «Du spinnst. Ich kann sitzen, wo ich will.» Ganz gewiss kam er nicht aus seiner Hinterhofkammer in den
Bremer Schlüssel,
um in einem versteckten Winkel seine Ruhe zu haben. «Ich war gerade mal elf bei meiner ersten Reise», plapperte er unbeirrt
     weiter, «
ich
hab alles gesehen, was einer auf See erleben kann, und ich sage dir, die Männer sind gestorben wie die Fliegen. Jetzt fragst
     du, warum? Frische Luft, zu viel frische Luft, das sage ich. Nicht zu wenig Sauerkraut und Zitronen – ich weiß gar nicht,
     was das soll mit den gelben Dingern. Sind teuer, und wer kann so was essen? Kein Schwein. Was Gutes hätte unser Herrgott nie
     so sauer gemacht. Und anno 32 auf der – wie hieß das Schiff doch gleich, Lüders? Ist ja egal, der Schiffer hieß Laab, das
     weiß ich genau. Wir waren nach Grönland unterwegs, bei Spitzbergen war damals schon nicht mehr viel zu holen, da waren wir
     bisschen abgetrieben und drei Meilen vor Jan Mayen angelangt. ’n ödes kleines Eiland, nichts als ein Klotz im Wasser und voller
     Eis, und der spuckte plötzlich Feuer und Dampf, und wir kamen da nicht wieder weg. Feuer und Dampf. Nicht nur an der Spitze,
     wie sich das bei so einem Berg gehört. Überall. Vier Tage und Nächte ist schwarze Asche vom Himmel gerieselt, das ganze Schiff
     war voll davon, die Segel sahen aus wie die vom Teufelseinem Kahn. Vielleicht war das Zeug auch vom Teufel, war nämlich kalt, und ist Asche direkt aus dem Feuer etwa kalt? Genau.
     Zu viel frische Luft, sag ich dir. So ein Berg steht ja auch immer im Wind. Irgendwann muss der ja husten. Und das ganze Eis
     da   …»
    Broder sah nichts als die schwarze See und mitten in zu viel frischer Luft den feuerspuckenden Berg. Deshalb merkte er auch
     nicht, dass Jakobsen ihm nicht mehr zuhörte. Bei «anno 32» hatte der die Flucht ergriffen und Rosina und Titus entdeckt, die
     grinsend in der Tür standen. Alle kannten Broders Geschichten, und obwohl die von Jahr zu Jahr grandioser wurden, hörte ihm
     doch niemand mehr zu. Nur manchmal, wenn sich ein fremder Reisender in den
Bremer Schlüssel
verirrte, hatte er einen glücklichen Tag und konnte Seemannsgarn gegen ein offenes Ohr und einen Krug Bier tauschen.
    Beim nächsten Schlag der Wanduhr, nagelneu und Jakobsens ganzer Stolz, saßen Titus und Rosina vor einer dampfenden Terrine
     mit einer Suppe von Entenkeulen und -leber . Sie duftete nach Rotwein, zerkochten Äpfeln und Thymian, und in der mit Sahne und einem Schuss Bier verrührten Brühe schwammen
     dicke Rosinen.
    «Und nun erzählt.» Jakobsen zog seinen Hocker heran, ein besonders stabil gearbeitetes Möbel, das stets für ihn reserviert
     war. «Der Mord muss doch direkt vor eurer Tür passiert sein.»
    «Mord?» Rosina ließ erschrocken den Löffel sinken, und Titus nuschelte, den Mund voll zarter Entenleber: «Du musst nicht alles
     glauben, was du hörst, Jakobsen. Auf dem Weg von Altona über den Hamburger Berg wird aus einer Erbse ein Kürbis. Wenn du das
     tote Mädchen in der Elbe meinst, das war ein Unfall. Vereiste Holzbohlenund stockdunkle Nacht vertragen sich nicht. Das ist alles.»
    «In Altona redet kein Mensch von einem Mord», sagte Rosina und schob ein glibberiges Stück Speck auf den Tellerrand. «Jedenfalls
     fast kein Mensch.»
    «Siehst du, Titus?» Jakobsen rieb sich fröhlich die Hände. Als wandelnde Nachrichtenbörse der Neustadt hörte er auch die nicht
     ausgesprochenen Worte. «Du achtest nur nie auf das, was die Leute sagen.»
    Titus nahm einen Schluck Bier und nickte. «Weil sie mit Vorliebe Unsinn reden. Besonders bei Nebel wird immer Unsinn geredet.»
    «Du bist ein Griesgram, alter Freund. Nebel hin oder her, was reden die Leute in Altona denn nun, Rosina?»
    Die zuckte mit den Achseln. «Ich weiß nur, was Madame Melzer redet. Sie hat heute Morgen die Treppe gefegt und den Schmutz
     so gründlich hin und her geschoben, bis endlich jemand von uns herunterkam, und das war dummerweise ich. Sie schien zu glauben,
     dass ich das Mädchen gekannt habe, und musste mir unbedingt erzählen, dass sie die Tochter irgendeines Lotsen sei. Die Lotsen
     von dieser Seite der Elbe, sagt sie, lägen seit Jahren mit denen am

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