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Die ungehorsame Tochter

Die ungehorsame Tochter

Titel: Die ungehorsame Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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wieder frei war, war der Winter vorbei. Dann kehrte das Licht
     der längeren Tage zurück, vertrieb auch Dunkelheit und Müdigkeit aus den Seelen. Anne war der beste Beweis. In den letzten
     Wochen war sie ungeduldig, häufig sogar grämlich gewesen, nun plötzlich sah er wieder die Anne, die er kannte. Bei diesem
     Gedanken vergaß er großzügig, dass auch er sich in dieser Zeit nicht gerade durch heiteren Gleichmut ausgezeichnet hatte.
     Ihn bedrängten allerdings echte Sorgen. Allein die bedrohliche Versandung der Elbe reichte, den Kaufleuten den Schlaf zu rauben.
     Seit Jahren forderte die Commerzdeputation Abhilfe, doch der Rat konnte sich trotz des nun schon drei Jahre alten, alarmierenden
     Gutachtens von Sonnin zu keinem Entschluss durchringen. Wenn weiterhin nichts geschah, um das Fahrwasser zu vertiefen, würde
     der nördliche Elbarm bald nur noch ein Rinnsal sein und der Hamburger Hafen nur noch gut für die flachen Kähne der Marschenbauern.
    «Was hat dich so munter gemacht?», fragte er. «Die Sonne? Oder die Schneeglöckchen?»
    «Beides.» Sie betrachtete vergnügt ihre schmutzigen Handflächen, die selbst nach der Behandlung mit der harten Küchenbürste
     und weißem Sand noch dunkle Linien zeigen würden. «Was ist wunderbarer als das Ende des Winters? Obwohl man in diesen Breiten
     nie ganz sicher sein kann, ob der April Schnee in seinen Regen mogeln wird. Aber das macht nichts. Von so einem letzten trotzigen
     Aufbäumen lässt der Sommer sich nicht aufhalten.»
    Sie schob ihren Arm unter seinen, spürte wohlig die Wärme seines Körpers und seufzte zufrieden.
    «Es ist schön hier», sagte sie und hoffte, er würde diese schlichte Feststellung als Abbitte für ihren Unmut der letzten Tage
     verstehen. «Bestimmt mache ich mir nur überflüssige Sorgen.»
    «Sorgen?» Er wandte den Blick über den See, und sie spürte, wie sich sein Rücken versteifte.
    «Wegen Sophie.»
    «Sophie?», rief er sichtlich erleichtert. «Warum, um Himmels willen, machst du dir Sorgen um meine Tochter? Sie ist bei Martin
     sicher wie in Abrahams Schoß. Glaub mir, in Lissabon droht jungen Ehefrauen keinerlei Gefahr. Sie darf dort keinen Schritt
     allein tun, schon gar nicht ohne Kutscher und mindestens eine Zofe mit dem offenen Zweisitzer aus der Stadt fahren, wie eine
     gewisse andere Dame meiner Familie. Martin ist die Zuverlässigkeit selbst, der lässt nicht zu, dass sie auf dumme Gedanken
     kommt.»
    «Genau das fürchte ich auch.»
    «Das
fürchtest
du?»
    Anne nickte. «Sophie hat sich in Martin verliebt, aber ich glaube, sie brannte vor allem darauf, mit ihm nach Lissabon zu
     gehen. Du kennst deine Tochter besser als ich, Claes, sie ist ein unruhiger Geist, nicht dazu gemacht, den ganzen Tag mit
     einer Zofe im Schatten zu sitzen und Spitzen zu klöppeln. Ich war nie in Lissabon, aber nach allem, was ich gehört habe, leben
     Frauen dort, nun, ich will mal sagen, nahezu klösterlich. Martin ist gewiss ein guter Kaufmann und braver Ehemann, aber er
     wird auch alles tun, sich als der bravste der Bürger zu beweisen. Er wird Sophie nicht die kleinste Capriole gönnen, geschweige
     denn ermöglichen. Wahrscheinlich legt er ihr die Bibel auf den Tisch und einen Höllenhund vor die Tür, bevor er das Haus verlässt.»
    Claes lachte. Der Vertreter des Herrmanns’schen Handelshauses in Lissabon war in der Tat ein Muster an Würde und Contenance.
     «Ich hoffe, er beschränkt sich auf einen Diener als Türwächter. Aber im Übrigen stimme ich dir zu. Gerade deshalb besteht
     kein Grund zur Sorge. Wie ich schon sagte   …»
    «Ja, du sagtest es schon. Ich fürchte nur, Sophie taugt nicht zum Vogel im Käfig. Sie hat sich Abenteuer erhofft, keine Aufpasser.
     In ihrem letzten Brief war das deutlich zu spüren.»
    «Kam der nicht schon im November? So lange trägst du diese unnützen Sorgen mit dir herum? Ich fand, er klang sehr zufrieden.
     Und durchaus heiter, besonders die Sätze über den Empfang bei Marquês de Pombal. Da hat dein Vogel im Käfig ein äußerst vergnügtes
     Lied gesungen.»
    «Und viele falsche Töne. Aber», nun starrte Anne mit steifem Rücken über den See, «es gibt noch einen anderenBrief. Er kam im Februar, ich habe ihn dir nicht gezeigt. Du hattest schon so viele Pflichten, ich dachte, nun ja, ich dachte,
     es sei nicht wichtig. Und ich habe schon im November», sie stockte und besah sich mit gerunzelter Stirn ihre immer noch schwärzlichen
     Fingernägel, «ich habe mir damals schon

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