Die ungehorsame Tochter
englischen
Kontor. Daran, so hatMartin entschieden, sei nur der Zucker schuld. Weil er sich um nichts so sorgt wie um mein Wohlergehen, hat er jedes Krümelchen
Zucker aus unserem Haus verbannt.»
Mit den letzten Worten war ihre Stimme immer lauter geworden. Endlich erkannte Claes einen Schimmer seiner vertrauten Sophie
in ihrem Gesicht, was ihn nun allerdings nicht erfreute, sondern im höchsten Maße beunruhigte.
«Martin», fuhr Sophie fort und umfasste die Tischkante, als wolle sie sie hochheben, «ist in Lissabon, und dort soll er, wie
ich bei meiner Ankunft schon sagte, auch bleiben. Von mir aus, bis er selbst zu Baumwolle geworden ist, was nur noch kurze
Zeit dauern kann. Aber ich, das versichere ich euch, werde dabei nicht länger zusehen.»
«Mein liebes Kind.» Claes löste Sophies Hände behutsam von der Tischkante und umschloss sie fest mit den seinen. «Du musst
so eine kleine Verstimmung nicht zu ernst nehmen, später werdet ihr beide darüber lachen. Die Ehe ist nun einmal …»
«Verzeih, Vater, was die Ehe im Allgemeinen nun einmal ist oder sein mag, ist eine Sache.» Sie entzog ihm ihre Hände und sah
ihn mit diesem fremden Blick an. «Eine andere Sache ist meine Ehe. Es war ein Fehler, Martin zu heiraten. Ganz allein mein
Fehler, das weiß ich. Fehler sind dazu da, um korrigiert zu werden und um es das nächste Mal besser zu machen. Das habe ich
von dir gelernt. Ich nehme an, du hast damals einzig meine grauenvollen Stickereien und meine Neigung, die Verse der Psalmen
durcheinanderzubringen, gemeint. Ich bin jedoch der Ansicht, dass diese Erkenntnis, für die ich dir sehr danke, auf alle Bereiche
des Lebens anzuwenden ist.»
«Meine liebe Sophie», sagte Anne, erntete einenscharfen Blick und fuhr nun ganz ohne falsches Säuseln fort: «Ich kann gut verstehen, dass du dich in Lissabon langweilst,
Sophie. Ich war niemals dort, aber ich weiß, dass das Leben in jenen Ländern für eine Frau, nun ja, noch eingeschränkter ist
als in unseren nördlichen. Vielleicht …»
«
Noch
eingeschränkter?» Claes saß plötzlich sehr aufrecht. «Als in den nördlichen Ländern? Willst du etwa behaupten, dein Leben
hier sei eingeschränkt? Wer kutschiert denn ganz allein und ohne Zofe durch die Stadttore hinaus? Wer kauft Bäume in Schottland?
Ausgerechnet Schottland!! Bücher, Theater, in jedem Konzert in der ersten Reihe, wenn die Austern von Juist dir nicht gut
genug sind, lasse ich welche aus Frankreich kommen, und die Seide …»
«Verzeih, mein Lieber.» Nun war es an Anne, die Tischkante zu umklammern, aber das bemerkte niemand, nicht einmal sie selbst.
«Ich habe es ganz allgemein gemeint. Lass uns jetzt über Sophies Probleme reden. Die sind dringlicher.»
«Probleme? Dringlicher? Nun gut. Was sind denn das für Probleme, Sophie? Jeder Mensch hat welche, die ganze Ehe ist ein einziges
Problem. Damit muss man sich abfinden. Martin mag kein romantischer Held sein, er ist ein zuverlässiger, zartfühlender Mann
mit den allerbesten Aussichten. Das kann nicht jede Frau von ihrem Gatten behaupten. Es ist richtig: Aus Fehlern sollte man
lernen. Also lerne aus dem Fehler, ihn im Stich gelassen zu haben. Ich sage dir, was wir tun werden. Ein kleiner Urlaub von
der Ehe wird euch beiden nicht schaden. So wirst du dich hier ein wenig erholen, alte Freundinnen besuchen, lass dir ein paar
neue Kleider nähen und gehemit Anne ins Theater oder zu Monsieur Bachs Musiknachmittagen. Danach, in ein paar Wochen, wirst du zu deinem Mann zurückkehren.
So wie es sich gehört. Wenn du Martin erst Kinder geschenkt hast, wirst du glücklich sein und keine Zeit mehr für solche Capricen
finden.»
«Kinder?», rief Sophie und lachte schrill. «Um Martin Kinder zu schenken, wie du es so generös ausdrückst, müsste ich die
Jungfrau Maria mit besten Verbindungen zum Heiligen Geist und allen Engeln sein. Nein, Vater, ich werde
nicht
zu Martin zurückkehren und weiter seine Ehefrau spielen.
Diesen
Fehler ein zweites Mal zu machen wäre unverzeihlich.»
«Und was wirst du stattdessen tun? Willst du dich scheiden lassen?» Claes lachte laut über seinen schlechten Scherz, wenn
auch nicht sehr herzlich.
«Es ist schön, dass du das mit solcher Heiterkeit betrachtest, Vater. Denn genau das will ich: Ich werde mich von Martin scheiden
lassen.»
Die Ruhe vor dem Sturm währte nur eine Sekunde. Tatsächlich glich das Wortgefecht zwischen Vater und Tochter einem jener
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