Die ungehorsame Tochter
verheerenden
Unwetter in Spanisch-Amerika, von denen berichtet wurde, dass sie wie rasende Messer eine Schneise der Verwüstung in das Land
schnitten und vorüberbrausten, ehe die Feuer- und Sturmglocke auch nur gezogen werden konnte.
«Verdammt, Sophie», rief Claes schließlich, «hör endlich auf, mir zu unterstellen, ich dächte nur an das dumme Geschwätz der
Leute. Ich denke an dich. Was willst du für den Rest deines Lebens tun? Willst du als vertrocknete Konventualin im Johanniskloster
enden? Dort würdest du mit dieser Vergangenheit nicht mal aufgenommen. Du glaubst doch nicht, dass irgendein Mannvon Anstand, Sitte und Vermögen dich noch heiraten wird. Eine geschiedene Frau?»
Ein kaum merkbares Lächeln glitt über Sophies Gesicht, ihre Schultern reckten sich, und ihre Stimme klang ruhig: «Als ich
Martin verließ, habe ich das in Kauf genommen. Es war mir lieber, als mein Leben dort und an seiner Seite vertrocknen zu lassen.
Tausendmal lieber. Doch nun sorgst du dich umsonst, Vater. Ich werde wieder heiraten. Einen Mann von Anstand, Sitte und Vermögen.
Ich werde Jules Braniff heiraten. Das kann niemand verhindern. Nicht einmal du.»
An diesem Abend dauerte es lange, bis im Herrmanns’schen Haus alle Kerzen gelöscht waren. Sophie hatte den Streit im Salon
beendet, indem sie mit rauschenden Röcken den Raum verlassen hatte. Nur mit Einsatz ihrer Körperkraft war es Anne gelungen,
Claes daran zu hindern, ihr umgehend nachzulaufen.
Was in bester Absicht geschehen war, führte zur Fortsetzung des Streits auf anderer Bühne. Claes war überzeugt, Anne sei längst
im Sophies Pläne eingeweiht gewesen. Sie habe schließlich stundenlang am Bett seiner exzentrischen Tochter gesessen und deren
schmerzende Stirn gekühlt. Sie habe sich auf Sophies Seite geschlagen, anstatt ihm sofort zu berichten, wie es ihre eheliche
Pflicht gewesen wäre.
Das war ein ganz schlechtes Stichwort. Es erinnerte Anne an Claes’ Worte, nach denen jede Ehe ein einziges Problem sei, und
dass nicht sie, sondern er selbst sich den Luxus leiste, französische den Juister Austern vorzuziehen. Aber in der Tat, langsam
komme auch sie zu der Überzeugung, eine Ehe bedeute mehr Probleme als Zufriedenheit. Schwachsinnig müsse sie gewesen sein,
ihrinteressantes Leben gegen das einer Ehefrau –
seiner
Ehefrau – einzutauschen.
«Interessantes Leben?», schlug Claes zurück. «Im Kontor deines Bruders? Auf dieser steinigen Insel, die mehr Rinder als Menschen
beherbergt?»
Überhaupt sei Jules Braniff ein Freund
ihrer
Familie. Was sie zu unternehmen gedenke, um den Herrn wieder zu Verstand zu bringen? Braniff müsse die Stadt sofort verlassen,
und wenn er sich erfreche, seine Tochter noch einmal wiederzusehen, nur noch einmal, dann werde er dafür sorgen, dass Braniff
als Kapitän abgesetzt und auf irgendeine gottverlassene karibische Insel verbannt werde.
In diesem Moment betrat Christian den Salon, erschreckt von den lauten Stimmen und überzeugt, ein schreckliches Unglück sei
geschehen.
«Würdest du uns bitte noch für einen Moment allein lassen, Christian?», sagte Anne, deren ruhige Stimme nicht im mindesten
zum Ausdruck ihres Gesichts passte. «Dein Vater und ich haben eine sehr persönliche Angelegenheit zu besprechen. Es dauert
nicht mehr lange.»
Als Christian die Tür eilig hinter sich geschlossen hatte, fuhr sie fort: «Du überschätzt dich, Claes, sogar ganz gewaltig.
Sophie ist jung, aber eine erwachsene Frau. Die Auflösung einer Ehe ist eine furchtbare Angelegenheit, und ganz gewiss bedeutet
sie einen Skandal, aber es ist ihre Entscheidung. Ich werde alles tun, sie zu unterstützen, denn das ist es, was sie jetzt
braucht. Unterstützung, keine Episteln. Nein, Claes, ich bin noch nicht fertig. Was Jules betrifft, überschätzt du deinen
Einfluss noch mehr. Sein Schiff gehört ihm, ganz allein ihm, und wenn du es genau wissen willst: Ihm gehören noch zwei weitere.Wenn du versuchst, ihm den Hamburger Hafen zu verbieten, wird er nur lachen, und zwar sehr laut. Er braucht euren dummen kleinen
Hafen nicht, ihm steht die ganze Welt offen. Dorthin wird er Sophie mitnehmen, auf Nimmerwiedersehen, wenn du dumm genug bist,
deine Ankündigungen wahr zu machen. Noch eins will ich dir sagen: Ich habe aus ihren Briefen schon lange gewusst, wie unglücklich
Sophie ist, und versucht, es dir zu sagen. Du wolltest es nicht hören, also habe ich Jules gebeten, Sophie zu besuchen,
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