Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die ungehorsame Tochter

Die ungehorsame Tochter

Titel: Die ungehorsame Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
Vom Netzwerk:
bearbeitete Elsbeth oder eines ihrer Mädchen das Hackbrett,
     eine junge Stimme lachte hell auf, dann war es wieder still wie zuvor. Selbst Topfdeckel und Hackmesser schwiegen.
    Er war hungrig und durstig, die Versuchung, gleich in die Küche hinunterzusteigen, war groß. Wieder hörte er Lachen und Gemurmel,
     zarter Bratenduft stieg ihm in die Nase – dennoch, zuerst kamen die Geschäfte. Er knöpfte seinen Rock auf, lockerte die Halsbinde
     und stieg die wenigen Stufen zum Kontor hinauf.
    Auch dort würde niemand sein, natürlich nicht, der Sonntag gehörte der Kirche und dem Vergnügen, doch die Post, die Christian
     stets während seiner Abwesenheit auf seinem Tisch bereitlegte, genügte. Es war ihm recht, nicht gleich begrüßt zu werden,
     nicht gleich tun zu müssen, was er sich für heute vorgenommen hatte. Der Tag war schön, Anne und Augusta würden im Garten
     sein. Das gab ihm Zeit, alles noch einmal zu bedenken.
    Er war nach Rosinas Abschied nicht mit Anne, Augusta und Christian in den Neuen Wandrahm zurückgekehrt, sondern mit einer
     der Lotsgalioten zur Lotsstation nachCuxhaven und Ritzebüttel gefahren. Die Lotsen wünschten eine dritte Galiot, die die Admiralität und Kämmerei nur zu bezahlen
     bereit waren, wenn die Commerzdeputation als Vertreterin der Kaufmannschaft ein Drittel der Kosten übernahm.
    Je mehr er sich von Hamburg entfernte, umso dringlicher erschien es ihm, sich mit Anne und Sophie auszusprechen. Wohl war
     er immer noch ärgerlich über Anne, die unvernünftig genug war, Sophies unerhörte Capricen nicht nur hinzunehmen, sondern sogar
     zu unterstützen. Doch er war sicher, es bedurfte nur eines langen vernünftigen Gesprächs, beide davon zu überzeugen, dass
     eine Scheidung für eine Herrmanns unmöglich war. Ganz und gar unmöglich.
    Eigentlich hatte er von Cuxhaven weiter nach dem dänischen Helgoland segeln wollen. Die Helgoländer, allgemein als wildes,
     renitentes Volk bekannt, hatten schon den Bau der ersten Leuchtblüse vor hundertvierzig Jahren mit allen Mitteln bekämpft
     und schließlich erreicht, dass der Turm dunkel blieb. Weil der Funkenflug ihre Häuser bedrohe, hatten sie behauptet. Tatsächlich
     fürchteten sie, ein allnächtlich leuchtender Wegweiser würde tun, was er sollte, nämlich Schiffsstrandungen verhindern und
     sie damit um den größeren Teil ihrer Einnahmen bringen. Seit neunzig Jahren brannte nun wieder ein Kohlefeuer auf einem steinernen
     Turm, von Hamburg bezahlt und unterhalten – was nicht bedeutete, dass die Helgoländer in all den Jahren aufgegeben hätten.
     Immer wieder löschten sie das Feuer für ihre Strandräuberei, und erst kürzlich war der Hamburger Vertreter auf dem roten Felsklotz
     im Meer einer schweren, tatsächlich lebensbedrohlichen Attacke ausgesetzt gewesen. Nichtzum ersten und – so stand zu befürchten – nicht zum letzten Mal.
    Doch nachdem er mit dem Amtmann von Ritzebüttel die zweite Flasche Bordeaux geleert hatte, sah er plötzlich seine Tochter
     vor sich, mit trotzig erhobenem Kopf und begleitet von seiner Frau auf dem Weg zum Rathaus, um die Scheidung von ihrem Ehemann
     zu beantragen. Er sah das Gesicht des Weddesenators, während Sophie ihm darlegte, der Grund für ihren Antrag sei böswilliges
     Verlassen. Hörte sie stolz versichern: Nein, nicht Martin Sievers habe sie, sondern sie ihn verlassen. Wegen Langeweile.
    Kurz und gut: Claes Herrmanns bestieg am nächsten Morgen mit einem Lotsen das erste Schiff elbaufwärts. Wie auf der Hinreise
     waren ihm auch auf dem Rückweg Wind und Strömung günstig. Die Reise von Cuxhaven nach Hamburg konnte viele Tage dauern, schlimmstenfalls
     und bei ungünstigem Wind oder Nebel auch zwei oder gar drei Wochen; ihn kostete sie diesmal kaum anderthalb Tage. Niemand
     erwartete ihn so schnell zurück.
    Die Fenster des Kontors waren fest verschlossen. Er atmete den vertrauten Geruch von staubigem Papier, Tinte, Honigwachs und
     kaltem Pfeifenrauch und ließ den Blick über die Postfächer, die Regale voller Geschäftspapiere, über die Tische der Lehrjungen
     und den seines Sohnes gleiten. Er nickte zufrieden. Es gab Kontore, in denen es aussah, als habe ein Sturm darin alles durcheinandergewirbelt.
     In seinem Kontor wurde trotz harter Arbeit niemals die nötige Ordnung und Gewissenhaftigkeit vernachlässigt.
    Christian hatte als sein Vertreter die Siegel der neuen Schreiben geöffnet, den Inhalt zur Kenntnis genommen,das Eilige erledigt und die restlichen Bögen,

Weitere Kostenlose Bücher