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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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gedulden wollen, dann hören Sie womöglich etwas, das für Sie wenigstens von beiläufigem Interesse ist. Schließlich« – und hier schien mir der Sarkasmus in ihrer Stimme die Grenzen höflichen Benehmens zu überschreiten – »betrifft dies Ihren alten Freund, Ihren alten Freund Mr. Ryder...«
    »Also wirklich, Inge!« warf Trude ein, doch ein Lächeln umspielte ihre Lippen, und die beiden grinsten sich schnell an.
    Fiona kniff mich wieder. Ich schaute zu ihr hin und sah, daß sie mit ihrer Geduld am Ende war und daß sie sich wünschte, ihre Peinigerinnen würden unverzüglich ihre wohlverdiente Strafe erhalten. Ich beugte mich vor und räusperte mich, doch bevor ich dann tatsächlich etwas sagen konnte, hatte Inge wieder das Wort ergriffen.
    »Also, ich will damit nur folgendes sagen, wenn man es genau nimmt, haben wir diese Zuvorkommenheit wahrlich verdient. Und offensichtlich ist Herr von Braun ebenfalls überzeugt davon. Die ganze Zeit ist er sehr höflich und freundlich gewesen, stimmt es nicht? Er ist so zerknirscht gewesen, als er zur Stadthalle mußte, um sich der offiziellen Gesellschaft anzuschließen. ›Wir werden in etwa dreißig Minuten beim Zoo ankommen‹, sagte er immer wieder. ›Ich hoffe doch sehr, daß die Damen auch da sein werden.‹ Es wäre durchaus nichts dagegen einzuwenden, so sagte er uns, wenn wir an die offizielle Gesellschaft bis auf etwa fünf oder sechs Meter herankämen. Schließlich seien wir nicht einfach nur Mitglieder der breiten Öffentlichkeit! Ach, tut mir leid, Fiona, wir hatten es nicht vergessen, wir wollten wirklich Herrn von Braun gegenüber erwähnen, daß eine aus unserer Gruppe, also Sie, meine Liebe, eine gute alte Freundin von Mr. Ryder ist, eine gute alte Freundin schon so viele Jahre lang. Wir hatten wirklich vor, es zu erwähnen, aber irgendwie sind wir einfach nicht dazu gekommen, nicht wahr, Trude?«
    Wieder grinsten sich die beiden Frauen zu. Fiona starrte sie voll eisiger Wut an. Ich sah, daß das Ganze jetzt zu weit gegangen war, und beschloß einzugreifen. Doch sofort boten sich mir zwei verschiedene Möglichkeiten des Eingreifens. Die eine Alternative bestand darin, die Aufmerksamkeit auf meine Identität auf eine Weise zu lenken, die sich elegant dem Fluß dessen anpaßte, was Inge zufällig gerade gesagt hatte. So hätte ich beispielsweise ruhig einwerfen können: »Nun, wir hatten zwar nicht das Vergnügen, uns im Zoo zu treffen, aber was macht das schon, wenn wir uns auch hier ganz gemütlich bei Ihnen zu Hause treffen können?« Oder so etwas Ähnliches. Die andere Alternative bestand ganz einfach darin, unvermittelt aufzustehen, dabei vielleicht die Arme vorzuwerfen und dann schonungslos offen zu verkünden: »Ich bin Ryder!« Natürlich wollte ich die Methode wählen, die den stärksten Eindruck hinterließ, doch das daraus folgende Zögern ließ mich meine Gelegenheit erneut verpassen, denn Inge hatte schon wieder das Wort ergriffen.
    »Wir kamen zum Zoo, und wir warteten, ach, es werden wohl etwa zwanzig Minuten gewesen sein, nicht wahr, Trude? Wir haben bei dem kleinen Stand gewartet, wo man Kaffee trinken kann, und nach etwa zwanzig Minuten haben wir all diese Autos bis genau vor das Tor vorfahren sehen, und diese sehr distinguierte Gesellschaft ist ausgestiegen. Sie waren ungefähr zu zehnt oder elft, alles Herren, Herr von Winterstein war da, und da waren auch Herr Fischer und Herr Hoffman. Und Herr von Braun natürlich. Und mittendrin Mr. Brodsky, er hat wirklich sehr distinguiert ausgesehen, nicht wahr, Trude? Ganz und gar nicht so wie früher. Natürlich haben wir sofort nach Mr. Ryder Ausschau gehalten, aber er war nicht da. Trude und ich haben in ein Gesicht nach dem anderen geschaut, aber es waren nur die üblichen Gesichter, die ganzen Stadträte, wissen Sie. Einen Augenblick lang dachten wir schon, Herr Reitmayer wäre Mr. Ryder, in dem Moment, als er aus dem Auto stieg. Na jedenfalls, er war nicht mit dabei, und wir haben uns gesagt, er wird vielleicht einfach ein bißchen später kommen, bei seinem engen Terminplan. Und da waren sie nun, all diese Herren, die den Weg heraufkamen, alle im dunklen Mantel, außer Mr. Brodsky, der einen grauen, sehr eleganten Mantel trug und einen dazu passenden Hut. Sie sind ganz gemächlichen Schrittes an den Ahornbäumen vorbeigekommen bis hin zu dem ersten Käfig. Herr von Winterstein schien der Gastgeber zu sein, denn er hat Mr. Brodsky Verschiedenes gezeigt, hat ihm etwas zu den Tieren in

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