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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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wer den Erwartungen nicht entspricht, den müssen wir eben gehen lassen.«
    Ich sah Tränen in Fionas Augen aufsteigen. Sie schaute mich wieder an, inzwischen mit wachsender Verbitterung, und ich dachte, ich sollte wenigstens noch einmal den Versuch machen, meine Identität zu offenbaren, doch der Gedanke an die Gestalt, die ich flüchtig in dem Spiegel erblickt hatte, brachte mich dazu, es mir anders zu überlegen. Statt dessen erhob ich mich schwankend und machte mich auf die Suche nach dem Ausgang. Ich war immer noch außer Atem von all den Anstrengungen, und als ich die Wohnzimmertür erreichte, mußte ich mich einen Augenblick am Türrahmen abstützen. Hinter mir hörte ich, daß die beiden Frauen immer noch hitzig debattierten. Ich hörte Inge sagen: »Und was hat sie da nur für einen entsetzlichen Menschen mit in deine Wohnung gebracht.« Unter Aufbietung beträchtlicher Kraft lief ich in den kleinen Flur hinaus, und nachdem ich eine Weile hektisch an den Schlössern der Wohnungstür herumgefummelt hatte, gelang es mir, in den Hausflur zu kommen. Fast sofort ging es mir etwas besser, und mit etwas gefaßterer Haltung machte ich mich auf den Weg die Treppe hinunter.

SIEBZEHN
    Auf den ersten der vielen Stufen schaute ich auf die Uhr und sah, daß es höchste Zeit war, zur Galerie Karwinsky zu fahren. Natürlich bedauerte ich außerordentlich, was ich da für eine Situation hinterlassen mußte, aber mein Hauptanliegen war, unser pünktliches Erscheinen bei dem bedeutenden Ereignis des Abends sicherzustellen. Dennoch beschloß ich, mich der Probleme Fionas in absehbarer Zeit anzunehmen.
    Als ich schließlich im Erdgeschoß anlangte, erblickte ich an der Wand ein Schild mit der Aufschrift »Parkplatz« und einem Pfeil, der die Richtung wies. Ich ging an verschiedenen Speicherschränken vorbei und dann durch einen Ausgang hinaus.
    Ich trat an der Rückseite des Wohnblocks aus dem Gebäude, an der gegenüberliegenden Seite des künstlichen Sees. Die Abendsonne stand jetzt tief am Himmel. Eine weitläufige Grünfläche erstreckte sich vor mir und verlor sich sanft abfallend in der Ferne. Der Parkplatz, der direkt vor mir lag, war einfach ein rechteckiges Stück Grasland, das man mit einem Zaun abgeteilt hatte, wie eine Pferdekoppel auf einer amerikanischen Ranch. Der Boden war nicht betoniert worden, obwohl das Hin und Her der Autos das Gras inzwischen so weit abgetragen hatte, daß nur noch der nackte Erdboden zu sehen war. Es gab Platz für vielleicht fünfzehn Wagen, doch im Augenblick standen nur sieben oder acht Fahrzeuge da, jedes mit einigem Abstand zum nächsten, die Sonne spiegelte sich leuchtend in den Karosserien. Im hinteren Bereich des Parkplatzes sah ich die untersetzte Frau und Boris den Kofferraum eines Kombis beladen. Als ich auf sie zuging, bemerkte ich Sophie, die auf dem Beifahrersitz saß und mit leerem Blick durch die Windschutzscheibe auf den Sonnenuntergang schaute.
    Die untersetzte Frau schloß gerade den Kofferraum, als ich zu ihnen trat.
    »Tut mir leid«, sagte ich zu ihr. »Ich wußte ja gar nicht, daß ihr so viel einzuladen hattet. Ich hätte euch ja gern geholfen, nur...«
    »Ist schon gut. Dieser kleine Kerl hier hat schon getan, was nötig war.« Die untersetzte Frau fuhr Boris durch das Haar, dann sagte sie zu ihm: »Also du machst dir keine Sorgen, abgemacht? Ihr werdet alle einen herrlichen Abend haben. Ganz bestimmt. Sie hat deine ganzen Lieblingsgerichte gekocht.«
    Sie beugte sich hinunter und umarmte Boris beruhigend, doch der kleine Junge schien zu träumen und starrte ins Leere. Die untersetzte Frau hielt mir den Autoschlüssel hin.
    »Der Tank müßte voll genug sein. Fahr vorsichtig.«
    Ich bedankte mich bei ihr und sah ihr nach, wie sie in Richtung Wohnblock ging. Als ich mich zu Boris umdrehte, stand er da und schaute in den Sonnenuntergang. Ich berührte ihn an der Schulter und führte ihn um den Wagen herum. Er kletterte auf den Rücksitz, ohne ein Wort zu sagen.
    Von dem Sonnenuntergang ging offensichtlich eine hypnotische Wirkung aus, denn als ich mich hinter das Lenkrad setzte, hatte auch Sophie den Blick in die Ferne gerichtet. Sie schien mich kaum zu bemerken, aber als ich mich dann mit den Bedienungselementen vertraut machte, sagte sie leise:
    »Wir dürfen nicht zulassen, daß diese Sache mit dem Haus uns so deprimiert. Das können wir uns nicht leisten. Wir wissen doch gar nicht, wann du das nächste Mal wieder bei uns sein wirst. Ob mit oder ohne Haus. Wir

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