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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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immer noch auf meinem liegen, und jetzt fingen wir an, langsam durch die Menge zu schlendern.
    »Da haben Sie sicher recht, Miss Collins«, erwiderte ich. »Und lassen Sie mich Ihnen versichern, als ich vorhin zu Ihnen herübergekommen bin, hatte ich nicht im mindesten die Absicht, die Sache mit Ihnen und Mr. Brodsky zur Sprache zu bringen. Im Gegensatz zu den meisten Menschen in dieser Stadt bin ich willens und bereit, mich aus Ihren Privatangelegenheiten herauszuhalten.«
    »Das ist hochanständig von Ihnen, Mr. Ryder. Aber auf jeden Fall, wie ich schon sagte, hat sich bei unserer Begegnung heute nachmittag nichts Aufregendes ergeben. Die Leute wären so enttäuscht, wenn sie das wüßten. Leo ist wirklich nur zu mir gekommen und hat gesagt: ›Du siehst bezaubernd aus heute.‹ Na, eben das, was man von Leo nach zwanzig Jahren Betrunkensein erwarten würde. Und das ist auch schon so ziemlich alles gewesen. Natürlich habe ich mich bei ihm bedankt und habe ihm gesagt, er habe seit langem schon nicht mehr so gut ausgesehen wie jetzt. Da hat er auf seine Schuhe geschaut, etwas, das er, soweit ich mich erinnern kann, nie gemacht hat, als er noch jünger war. Etwas derart Schüchternes hat er damals nie gemacht. Ja, seine Glut ist erloschen, das war deutlich zu sehen. Aber etwas ist an ihre Stelle getreten, etwas von beträchtlicher Ernsthaftigkeit. Tja, da war er nun und schaute auf seine Schuhe, und Herr von Winterstein und die anderen Herren hielten sich etwas im Hintergrund, sahen in die andere Richtung und taten so, als hätten sie uns vergessen. Ich sagte zu Leo irgend etwas über das Wetter, und er schaute hoch und meinte, ja, die Bäume sähen prachtvoll aus. Dann fing er an, mir zu erzählen, welche Tiere von den eben besichtigten ihm am besten gefallen hätten. Es war offensichtlich, daß er überhaupt nicht aufgepaßt hatte, denn er sagte: ›Ich mag diese Tiere alle. Die Elefanten, die Krokodile, die Schimpansen.‹ Nun ja, die Affenkäfige waren ganz in der Nähe, und aus der Richtung sind sie auch ganz bestimmt gekommen, aber ganz bestimmt sind sie nicht an den Elefanten und Krokodilen vorbeigegangen, und das habe ich Leo dann auch gesagt. Aber Leo tat das mit einer Handbewegung ab, als hätte ich etwas völlig Unwichtiges gesagt. Dann schien er ein wenig in Panik zu geraten. Vielleicht lag es daran, daß Herr von Winterstein gerade in dem Augenblick etwas näher zu uns trat. Sie müssen wissen, meine ursprüngliche Vereinbarung sah vor, daß ich ein paar Worte mit Leo wechseln würde, wirklich nur ein paar wenige Worte. Herr von Winterstein hatte mir versichert, er würde nach ungefähr einer Minute einschreiten. Nun ja, das war meine Bedingung gewesen, aber dann kam mir, als wir erst einmal angefangen hatten zu reden, die Zeit doch wahnsinnig knapp vor. So fürchtete auch ich allmählich den Anblick Herrn von Wintersteins, der da herumstand. Na jedenfalls, Leo wußte, daß wir sehr wenig Zeit hatten, denn er stürzte sich einfach mitten hinein. Er sagte: ›Vielleicht sollten wir es noch einmal miteinander versuchen. Und wieder zusammenziehen. Es ist noch nicht zu spät.‹ Sie verstehen doch sicher, Mr. Ryder, daß das ein wenig direkt war nach all diesen Jahren, selbst wenn man bedenkt, wie begrenzt unsere Zeit an dem Nachmittag war. Ich antwortete einfach: ›Aber was sollten wir denn miteinander anfangen? Wir haben doch inzwischen kaum noch etwas gemeinsam.‹ Und einen Augenblick lang sah er regelrecht bestürzt aus, als hätte ich einen Punkt zur Sprache gebracht, über den er noch nie zuvor nachgedacht hatte. Dann deutete er auf den Käfig vor uns und sagte: ›Wir könnten uns ein Haustier halten. Wir könnten es lieben und uns gemeinsam darum kümmern. Vielleicht hat uns das ja früher gefehlt.‹ Und mir fiel nichts ein, was ich darauf hätte erwidern können, also haben wir einfach so dagestanden, und ich sah, daß Herr von Winterstein sich auf den Weg zu uns herüber gemacht hatte, aber dann muß er etwas gespürt haben, etwas an der Art, wie Leo und ich dastanden, denn er überlegte es sich anders, ging wieder weg und begann ein Gespräch mit Herrn von Braun. Dann streckte Leo einen Finger in die Luft, eine Geste, die früher schon typisch für ihn gewesen war, er streckte den Finger in die Luft und sagte: ›Ich hatte einen Hund, wie du ja weißt, aber er ist gestern gestorben. Ein Hund taugt nichts. Wir suchen uns ein Tier aus, das lange lebt. Zwanzig, fünfundzwanzig Jahre. Auf die Weise

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