Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
Vom Netzwerk:
werden wir, wenn wir uns gut um das Tier kümmern, zuerst sterben, wir müßten nicht um das Tier trauern. Wir haben keine Kinder gehabt, also laß uns doch statt dessen das tun.‹ Darauf antwortete ich: ›Du hast das nicht gründlich durchdacht. Unser geliebtes Haustier könnte uns beide durchaus überleben, aber es ist doch sehr unwahrscheinlich, daß wir beide gleichzeitig sterben. Möglicherweise mußt du nicht um das Tier trauern, aber wenn ich, sagen wir mal, vor dir sterbe, dann müßtest du um mich trauern.‹ Darauf erwiderte er schnell: ›Das ist immer noch besser, als niemanden zu haben, der um einen trauert, wenn man mal nicht mehr ist.‹ – ›Aber davor habe ich keine Angst‹, sagte ich zu ihm. Ich erklärte ihm, daß ich im Laufe der Jahre vielen Leuten in der Stadt geholfen hätte, und daß es mir, wenn ich sterben würde, kaum an Menschen fehlen könnte, die um mich trauerten. Darauf er wieder: ›Das kann man nie wissen. Möglicherweise läuft es für mich ganz gut von jetzt an. Auch ich habe vielleicht viele, die um mich trauern, wenn ich sterbe. Hunderte vielleicht.‹ Dann sagte er weiter: ›Aber was würde das schon bedeuten, wenn sich keiner von denen wirklich etwas aus mir gemacht hat? Ich würde sie alle eintauschen. Für einen Menschen, den ich lieben könnte und der mich lieben würde.‹ Ich muß gestehen, Mr. Ryder, diese Unterhaltung machte mich doch etwas traurig, und es wollte mir einfach nichts einfallen, was ich ihm hätte antworten können. Dann sagte Leo: ›Wenn wir damals Kinder gehabt hätten, wie alt wären die dann? Die wären jetzt wirklich prächtig.‹ Als ob sie mit der Zeit automatisch prächtig würden! Dann sagte er wieder: ›Wir haben keine Kinder gehabt. Also laß uns doch statt dessen das tun.‹ Als er das nun wiederholte, tja, da war ich doch wohl etwas verwirrt und schaute über seine Schulter hinweg zu Herrn von Winterstein hinüber, und sofort trat Herr von Winterstein zu uns, machte irgendeine witzige Bemerkung, und das war es dann. Das war unsere ganze Unterhaltung gewesen.«
    Immer noch schlenderten wir langsam durch den Raum, ihr Arm lag noch auf meinem. Ich nahm mir einen Augenblick Zeit, um zu verdauen, was sie mir da erzählt hatte. Dann sagte ich:
    »Da fällt mir gerade etwas ein, Miss Collins. Das letzte Mal, als wir uns gesehen haben, waren Sie so freundlich, mich in Ihre Wohnung einzuladen, um über meine Probleme zu sprechen. Ironischerweise hätten wir jetzt wohl weit mehr über die Entscheidungen zu sprechen, die Sie für Ihr Leben werden treffen müssen. Ich frage mich wirklich, wie Sie sich wohl entscheiden werden. Sie stehen, wenn ich das einfach so sagen darf, an einer Art Scheideweg.«
    Miss Collins lachte. »Ach du liebe Güte, Mr. Ryder, ich bin viel zu alt, um an einem Scheideweg zu stehen. Und daß Leo jetzt so redet, dafür ist es nun wirklich zu spät. Wenn das alles vor sieben oder acht Jahren passiert wäre...« Sie seufzte, und einen flüchtigen Moment lang zog eine tiefe Traurigkeit über ihr Gesicht. Dann setzte sie wieder ihr sanftes Lächeln auf. »Das ist wohl kaum die Zeit, mit lauter neuen Hoffnungen und Ängsten und Träumen zu beginnen. Ja, ja, Sie werden sich beeilen, mir zu versichern, daß ich längst noch nicht so alt bin, daß mein Leben noch keineswegs vorbei ist, und das weiß ich wirklich zu schätzen. Aber es ist doch wirklich schon recht spät geworden, und es wäre wohl... na ja, sagen wir, es würde tatsächlich reichlich Unordnung in mein Leben bringen, wenn ich die Dinge jetzt noch komplizieren wollte. Ach, der Mazursky! Von dem bin ich doch immer wieder gefesselt!« Sie deutete auf eine Katze aus rotem Ton, die auf einem Podest stand, an dem wir gerade vorübergingen. »Nein, Leo hat wirklich schon genug Unordnung in mein Leben gebracht. Ich habe mir vor langem schon ein ganz anderes Leben aufgebaut, und wenn Sie die Leute in dieser Stadt fragen, werden Ihnen die meisten, so hoffe ich doch, bestätigen, daß ich meine Sache recht gut gemacht habe. Daß ich in einer Zeit wachsender Bedrängnis vielen wirklich gute Dienste geleistet habe. Natürlich habe ich nichts geleistet, womit ich mich auch nur annähernd mit Ihrer Klasse vergleichen könnte, Mr. Ryder. Aber das heißt noch nicht, daß ich nicht auch eine gewisse Befriedigung empfinde, wenn ich auf das zurückschaue, was ich habe erreichen können. Ja, im großen und ganzen bin ich recht zufrieden mit dem Leben, das ich mir nach Leo eingerichtet

Weitere Kostenlose Bücher