Die Ungetroesteten
auf dem Korridor deutete. In dem gedämpften Licht erkannte ich die Silhouette einer Frau, die mit dem Rücken zu uns in einer Nische lehnte. Die Wandvertiefung war verspiegelt, und mit dem Kopf berührte die Frau praktisch das Glas, so daß sich ihr Spiegelbild schräg von ihr weg neigte. Während ich noch zu der Gestalt hinschaute, warf Hoffman, der wahrscheinlich dachte, ich hätte seine erste Geste nicht wahrgenommen, den Arm ein zweites Mal nach hinten. Dann sagte er:
»Ich meine die Sammelmappen meiner Frau, Mr. Ryder.«
»Die Sammelmappen Ihrer Frau. Ach ja. Ja, sie war so freundlich... Aber dies, Mr. Hoffman, ist doch sicherlich kaum der Zeitpunkt...«
»Sie werden sich wohl erinnern, Mr. Ryder, daß Sie mir versprochen haben, sich die Mappen anzusehen. Und wir haben doch, aus Rücksichtnahme auf Sie, Mr. Ryder, damit Sie nicht zu einer unpassenden Zeit damit belästigt werden, wir haben doch – Sie erinnern sich doch, Mr. Ryder? -, wir haben doch ein Zeichen vereinbart. Ein Zeichen, das Sie mir geben wollten, um mir zu signalisieren, daß Sie bereit wären, sich die Mappen anzusehen. Daran erinnern Sie sich doch, Mr. Ryder?«
»Natürlich, Mr. Hoffman. Und ich hatte selbstverständlich die Absicht...«
»Ich habe Sie sehr genau beobachtet, Mr. Ryder. Immer wenn ich Sie entdeckte, wie Sie durch das Hotel schlenderten, durch die Halle gingen, Ihren Kaffee tranken, da habe ich dann immer bei mir gedacht: ›Ach, jetzt scheint er ja einen Moment Zeit zu haben. Vielleicht ist es jetzt der geeignete Zeitpunkt.‹ Und ich habe auf das Zeichen gewartet, ich habe Sie sehr genau beobachtet, aber ist das Zeichen vielleicht gekommen? Pah! Und hier sind wir nun, Ihr Besuch ist jetzt bald vorüber, es sind nur noch ein paar Stunden bis zu Ihrem Flug und Ihrer nächsten Verpflichtung in Helsinki! Es gab Momente, Mr. Ryder, da habe ich gedacht, ich hätte es vielleicht übersehen, ich hätte mich für eine Sekunde weggedreht und beim Wiederhinschauen hätte ich dann die Schlußphase Ihres Zeichens irrtümlich für irgendeine andere Geste gehalten. Natürlich, wenn dies der Fall sein sollte, daß Sie bei einer Reihe von Gelegenheiten das Zeichen gegeben haben, und wenn ich nur zu begriffsstutzig gewesen bin, es zu bemerken, dann werde ich mich selbstverständlich entschuldigen, ohne Einschränkungen, ohne falsches Schamgefühl, ohne stolzes Gehabe. Doch es ist meine Überzeugung, Mr. Ryder, daß Sie kein derartiges Zeichen gegeben haben. Mit anderen Worten, Mr. Ryder, Sie haben meine Frau... meine Frau« – er schaute zu der Gestalt weiter hinten auf dem Korridor zurück und senkte die Stimme -, »Sie haben meine Frau äußerst geringschätzig behandelt. Sehen Sie, hier sind sie!«
Erst da bemerkte ich die beiden großen Alben, die er in den Armen hielt. Jetzt streckte er sie mir entgegen.
»Da, bitte, Mr. Ryder. Die Früchte der Ergebenheit, mit der meine Frau sich Ihrer wundervollen Karriere gewidmet hat. Wie sie Sie bewundert. Das ist deutlich zu sehen. Schauen Sie sich diese Seiten an!« Mühsam öffnete er eine der Mappen, während er die andere unter dem Arm hielt. »Schauen Sie, Mr. Ryder. Selbst kleinste Ausschnitte aus irgendwelchen obskuren Zeitschriften. Sachen, die nur ganz beiläufig über Sie geschrieben wurden. Sie sehen, Mr. Ryder, wie ergeben sie Ihnen ist. Sehen Sie sich das an, Mr. Ryder! Und hier – und hier! Und Sie finden nicht einmal einen Moment Zeit, sich diese Mappen anzusehen. Was soll ich ihr denn jetzt sagen?« Wieder deutete er auf die Gestalt weiter hinten auf dem Korridor.
»Tut mir leid«, setzte ich an. »Tut mir wirklich sehr leid. Aber sehen Sie, meine Zeit hier scheint irgendwie durcheinandergeraten zu sein. Aber ich hatte selbstverständlich die Absicht...« Da sah ich dann ein, daß bei all dem wachsenden Chaos des Abends wenigstens ich einen kühlen Kopf bewahren mußte. Ich schwieg, dann sagte ich einigermaßen beherrscht: »Also, Mr. Hoffman, vielleicht fällt es Ihrer Frau leichter, meine aufrichtige Entschuldigung zu akzeptieren, wenn sie sie aus meinem eigenen Mund hört. Ich hatte das große Vergnügen, sie vorhin schon kennenzulernen. Wenn Sie mich jetzt zu ihr führen, werden wir diese Angelegenheit vielleicht schnell aus dem Weg räumen können. Dann sollte ich natürlich wirklich auf die Bühne gehen, ein paar Worte über Mr. Brodsky sagen und dann mein Konzert geben. Vor allem meine Eltern werden schon ganz ungeduldig sein.«
Nach diesen Worten machte Hoffman
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