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Die ungewisse Reise nach Samarkand: Roman (German Edition)

Die ungewisse Reise nach Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Die ungewisse Reise nach Samarkand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Marion Weiß
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den nächsten Tagen zeigte sich,
dass Monsieur Thévenon – Philippe – eine echte Bereicherung war. Die ganzen Kirchen,
Museen und Galerien der Gegend grasten sie zusammen ab.
    Zwar hatte
sie geglaubt, mit Robert schon alles Sehenswerte abgearbeitet zu haben, aber da
hatte sie sich getäuscht. Noch nie war sie so sachkundig durch die Fondation Maeght
geführt worden, noch nie waren ihr die Kirchenfenster von Matisse so toll erklärt
worden, noch nie hatte sie von der malenden Freundin Picassos gehört. Und auch Renoirs
Atelier in Cagnes war ihr bisher entgangen.
    Aber ganz
besonders faszinierend waren die Anekdötchen, die Philippe erzählte. Von Renoirs
angeblicher Wunderheilung. Wie er sich den Pinsel ans Handgelenk binden ließ, als
die Hände verkrüppelten. Dass van Gogh und Gauguin eine Zeit lang zusammenlebten,
bis aufs Messer befreundet. Wie van Gogh Gauguin das Glas Absinth ins Gesicht schüttete,
in seiner Wut. Und wie er mit dem offenen Rasiermesser auf ihn losging. Und dass
Cézanne und Renoir ein richtiggehendes Wettmalen veranstalteten, drüben in Aix.
    Philippe
erzählte so lebhaft, dass Paula fast glaubte, dabei gewesen zu sein. Ja, er beeindruckte
sie sehr. Und es sah so aus, als ob sie einen neuen Verehrer bekommen hätte: Eines
schönen Abends, als sie erschöpft aus Antibes zurückkamen, wo sie das Picasso-Museum
besichtigt hatten, da stand in ihrem Zimmer ein üppiger Strauß mit Sonnenblumen
– van Goghs Sonnenblumen.
    Voilà, les
fleurs d’été!

Kapitel 5
     
    Am Donnerstag fuhren sie zum Trödelmarkt
nach Tourrettes-sur-Loup. Dieses mittelalterliche Städtchen hatte es Paula schon
lange angetan. Ganz zu Anfang ihrer Ehe, als sie noch nicht so viel Geld hatten,
waren sie hier in einer winzigen Ferienwohnung untergekommen, in der Rue Médiévale.
Aber von wegen rue – ein Gässchen, so eng, dass sich die Bewohner der gegenüberliegenden
Häuser fast die Hand reichen konnten.
    Über ihnen
wohnte eine alte Dame, eine ehemalige Pianistin, die sich mit ihrem vis-à-vis, einem
Cellisten, vor Jahrzehnten überworfen hatte. Und diese Feindschaft wurde von beiden
Seiten gehegt und gepflegt. Aber wie! Jeden Abend gab’s Streit. Die beiden versuchten
sich zu übertrumpfen, mal führte das Cello, mal das Klavier. Sie umarmten einander
und stießen einander ab, Abend für Abend. Versöhnten sich, verletzten sich, wieder
und wieder. Nocturnes, mal in Dur, mal in Moll. Keiner konnte vom anderen lassen.
    »Weißt du,
Philippe, ich würde mich hier gern mal umschauen. Ich suche nämlich ein altes Realienbuch.«
Sie waren inzwischen beim Du angelangt . »Manchmal hat man ja Glück,
auf diesen Flohmärkten.«
    »Wieso willst
du ein Realienbuch?«
    »Für meinen
Mann. Robert ist schon ewig auf der Suche. Er hat schon eine ganze Sammlung, aber
ein französisches fehlt noch.«
    »Du liebst
deinen Mann wohl sehr?«
    Hm. Jaaa.
    »Oh, schau
mal, Paula. Da drüben. Das gibt’s doch nicht.«
    Paula blickte
hoch und sah zwei Monet-Drucke, sorgfältig auf einer Staffelei aufgebaut.
    »Ach.Die ›Seerosen‹ und das ›Mohnfeld‹ . Schöne Drucke. Was ist damit?«
    »Na, siehst
du’s denn nicht? Das sind keine Drucke. Das muss ich mir mal aus der Nähe anschauen.«
    Und tatsächlich,
es waren keine Drucke. Es waren aber auch keine Originale, keine echten Monets,
das konnte gar nicht sein. Nicht hier, auf dem Trödelmarkt von Tourrettes. Jeder
wusste, wo sie hingen, das eine Bild in der Tate Gallery, das andere – wo hing das
noch? Paula hatte es schon mal in natura gesehen, aber sie konnte sich beim besten
Willen nicht mehr erinnern, wo.
    Der junge
Mann, der anscheinend zu der Staffelei gehörte, kam jetzt auf sie zu. »Bonjour,
Madame, bonjour, Monsieur. Kann ich Ihnen behilflich sein?«
    »Wo haben
Sie denn diese beiden Bilder her?«
    »Die habe
ichgemalt.«
    »Mein Kompliment,
Monsieur …?«
    »Bardèche,
Jean-Luc Bardèche. Sie finden meinen Namen auf der Rückseite der Bilder. Ich bin
Kopist. Ein Kopist ist ein …«
    »Ich weiß,
was ein Kopist ist. Ich bin selbst in der Kunstbranche. Ich habe eine kleine Bildergalerie
in Valence.« Philippe zog seine Visitenkarte aus der Brieftasche und reichte sie
dem jungen Mann. »Ich habe schon viele Kopien gesehen, aber noch keine so guten.
Sie scheinen außerordentlich begabt zu sein.«
    »Ja, das
bin ich.«
    Paula runzelte
die Stirn und blickte zu Philippe.
    Bardèche
schüttelte den Kopf. »Nein, nein, keine Angst, ich bin nicht größenwahnsinnig. Ich
bin

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