Die ungewisse Reise nach Samarkand: Roman (German Edition)
»Ich bin Paula Assmann. Gerade angekommen. Deshalb
hab ich mich auch gleich ins Wasser gestürzt, um mich abzukühlen, nach der Reise.«
»Oh, Sie
sind Deutsche. Wo haben Sie denn so gut Französisch gelernt?«
»Ach, das
ist gar nicht mehr so gut. Ich war schon lange nicht mehr hier. Aber, um ehrlich
zu sein, mein Mann und ich, wir lieben Frankreich. Und ganz besonders natürlich
die Provence.«
»Sie sind
mit Ihrem Mann hier?«
»Nein, nein.
Er … er konnte diesmal nicht mitkommen. Ich bin allein hier.«
»Wie lange
bleiben Sie denn?«
»Ein, zwei
Wochen, ich weiß es noch nicht genau.«
Monsieur
Thévenon lächelte. »Nun, dann werden wir uns wohl ab und zu über den Weg laufen.«
»Bestimmt.«
Er zögerte
kurz. »Wenn Sie möchten, leiste ich Ihnen gern hin und wieder Gesellschaft. Ich
bin nämlich auch allein hier, und das ist auf die Dauer nicht so amüsant.«
Paula schwieg.
»Aber ich
will mich nicht aufdrängen.«
Sie schüttelte
den Kopf. »Nein, nein …«
»Ihr Mann
hätte doch bestimmt nichts dagegen, oder? Schließlich könnten Sie ja meine Tochter
sein.«
Paula lachte.
»Na, übertreiben Sie jetzt nicht? Da müssten Sie aber sehr früh angefangen haben.«
»Madame,
was glauben Sie. Ich bin 79.«
Also, das
hätte sie nicht gedacht. Nie und nimmer.
Sie verabredeten
sich vor dem Abendessen in der Bar.
»Einen Campari?«
»Gern.«
Santé dann . Ja, Santé,auf einen schönen Urlaub.
Und schon
schnurrte das Gespräch. Und Paula staunte. Monsieur Thévenon war noch immer berufstätig.
Er besaß eine Bildergalerie in Valence, und seit Neuestem eine zweite in Straßburg.
»Wissen
Sie, Madame, es ist auch in meinem Alter noch wichtig, eine Aufgabe zu haben. Nicht
bloß Hobbys. Ich will noch gebraucht werden.«
Paula nickte.
Ja, genau. Das war’s.
»Neulich
kam im Radio ein Interview mit Daniel Descaux. Dem Schauspieler.«
Paula kannte
Descaux, sie hatte ihn schon öfter im Kino gesehen.
»Mit seinen
88 steht er noch jeden Abend auf der Bühne. Spielt gerade in einem Boulevardstück.
En suite. Stellen Sie sich das vor.«
»Das ist
ja unwahrscheinlich.«
»Ja. Er
sagte, dass er dann alle Zipperlein vergisst. Selbst wenn er vorher gedacht hat,
dass er es nicht mehr bis auf die Bühne schafft.«
»Toll.«
»Ja, nicht
wahr? Ich kann mir auch kein ruhiges Rentnerdasein vorstellen. Nur so über den Markt
schlendern, Kaffee trinken, Zeitung lesen, den Leuten beim Boule zuschauen, abends
mit den Freunden meinen Rotwein trinken – nur das, nein. Verstehen Sie mich
nicht falsch. Ich finde das alles schön, in meiner Freizeit, im Urlaub. Aber tagtäglich?
Ich glaube, ich würde verrückt.« Er nippte an seinem Campari. »Nein, nein, das ist
nichts für mich. Ich stehe jeden Tag in meiner Galerie und berate meine Kunden,
ich verhandle mit den Künstlern, ich organisiere Vernissagen, eben alles, was so
anfällt.«
»Beneidenswert,
Monsieur Thévenon. Und mit was für Leuten Sie da zusammenkommen.«
»Philippe,
bitte, Philippe.«
Also dann,
okay – Paula.
»Das Interessanteste
ist natürlich die Akquise. Was glauben Sie, wie spannend es ist, junge Talente zu
entdecken. Und mitzuerleben, was aus ihnen wird.«
Er hatte
Kunst studiert. Hatte eigentlich selbst Maler werden wollen. Aber er war realistisch
genug gewesen, um einzusehen, dass sein Talent nicht ausreichte. Also hatte er sich
für den Galeristenberuf entschieden.
Kein Bedauern
über die verpasste Karriere? Nein, überhaupt nicht. Paula schaute ihn zweifelnd
an. Nein, wirklich nicht.
Und so kamen
sie natürlich auf Paulas neue Passion zu sprechen. Und – da war sie ehrlich – auf
ihren Traum vom Erfolg. Sie erzählte vom Workshop, von ihren Kurzgeschichten, von
ihren Dozenten, von ihren Kommilitonen. Fast hätte sie auch von Simon erzählt.
»Wollen
wir nicht was essen gehen?«
»Ja, natürlich.
Wie unaufmerksam von mir.« Thévenon stand sofort auf. »Die Küche hier ist exzellent.«
Das wusste
Paula. Es hatte immer fantastisch geschmeckt. Und so war’s auch geblieben. Vorzüglich,
wenn auch viel zu üppig. Sie war das abends gar nicht mehr gewohnt. Bis vor zwei
Tagen war sie noch auf Diät gewesen. Hatte sichdrei Kilo abgehungert .
Du mit deinem ewigen Schlankheitswahn. Das macht dich auch nicht jünger. Im Gegenteil.
»Einen kleinen
Cognac, zum Verdauen?«
Paula nickte.
Aber bitte keinen Kaffee mehr, nein, sie war jetzt doch hundemüde von der Reise.
Sie wollte jetzt nur noch schlafen, schlafen, schlafen.
In
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