Die ungewisse Reise nach Samarkand: Roman (German Edition)
Handwerker, und zwar ein sehr guter. Aber ich bin nicht kreativ. Ich male und
male seit Jahren. Stillleben, Landschaften, Porträts, Akte, einfach alles. Vielleicht
habe ich sogar einen Blick für Motive. Aber ich bin einfach nicht originell. Ich
finde keinen eigenen Stil.«
Schon sympathischer.
»Aber wissen
Sie, ich mache mir nichts mehr draus. Was ich tue, hat auch seinen Sinn. Ich habe
meine Kundschaft. Wer kann sich’s denn schon leisten, einen echten Monet zu kaufen?
Und selbst wenn man das Geld hätte – wann steht schon mal einer zum Verkauf?« Bardèche
fuhr sich durchs Haar. »Wer also so was zu Hause haben will, der muss sich eben
einen Druck aufhängen. Oder aber eine Kopie machen lassen.«
Paula nickte.
»Ich habe
viele Kunden, und die sind alle sehr zufrieden mit meinen Bildern. Bei mir läuft
das Geschäft hauptsächlich über Mundpropaganda. Und ich werde gar nicht schlecht
bezahlt. Alors, c’est ça.«
Wie schlimm
war es wohl für einen Maler, seine Bilder herzugeben? Musiker hatten das Problem
nicht, und Schriftsteller auch nicht. Es musste schon verdammt hart sein, sich von
seinem Bild zu trennen, nur weil man Geld brauchte.
Paula blickte
zu den beiden Männern hinüber. Sie schienen sich rege zu unterhalten.
»… verändert
die Optik. Das ist der entscheidende Unterschied. Da ist es ganz anders. Eine Fälschung
hingegen …«
Was redeten
die beiden da? Vom Bilderfälschen? Unglaublich. Aber wieso eigentlich nicht? Kopieren
und Fälschen, das war doch fast dasselbe. Wo war da der Unterschied? Doch bloß beim
Signieren.
Galerist
und Kopist schüttelten jetzt einander die Hand. Dann wandte sich der junge Mann
zu Paula und überreichte ihr mit einer kleinen Verbeugung seine Karte. »Falls Sie
mal Bedarf haben sollten, Madame.«
Wohl kaum.
Doch Paula lächelte freundlich. »Au revoir.«
Philippe
legte ihr den Arm um die Schulter. »Sollen wir noch einen Kaffee trinken gehen?«
Paula nickte,
und sie schlenderten über den bunt gepflasterten Marktplatz, hinüber zu dem kleinen
Salon de thé. Sie setzten sich ins Freie, in den Schatten der alten Walnussbäume,
und genossen die milde mediterrane Luft und den nicht ganz so milden Espresso.
In dieser Nacht träumte Paula aufs
Lebhafteste. Philippe hatte den jungen Maler überredet, für seine Galerie Bilder
zu fälschen und mit ihm halbe-halbe zu machen. Die Abnehmer standen schon Schlange.
Einer davon war ein steinreicher Baron, der unbedingt einen Miró haben wollte. Der
Kopist leistete erstklassige Arbeit. Doch als Philippe das Bild vor seinem Kunden
auspackte, löste sich die Malerei in winzig kleine Fäden auf. Die Fädchen hoben
sich von der Leinwand ab und flogen in der Luft herum. Philippe lief aufgeregt hin
und her und versuchte verzweifelt, die einzelnen Fädchen wieder einzufangen und
in den Rahmen zu zwängen. Der Baron, der das Ganze mit verschränkten Armen beobachtete,
fing mit einem Mal an, höhnisch zu lachen. »Dafür bezahle ich Sie nicht, Sie Betrüger.«
Sein Kopf wurde plötzlich zu einer Wolfsfratze, und genauso plötzlich trug er eine
Polizeiuniform. »Ich verhafte Sie hiermit wegen Kunstfälscherei.« Philippe drehte
auf dem Absatz um und rannte weg. Paula versuchte, ihm nachzulaufen, doch vergebens.
Sie trat auf der Stelle. Sie kam einfach nicht vom Fleck. Als ob sie festkleben
würde. Lange Polizistenarme, tentakelgleich, griffen nach ihr.
Schweißgebadet
wachte sie auf. Sie wälzte sich noch ein paar Mal hin und her, um die Bilder loszuwerden.
Schließlich gab sie sich einen Ruck und stand auf.
Als sie
aus der Dusche kam, war sie putzmunter und klar im Kopf. Ja, sie hatte eine tolle
Idee. Das musste eine super Story geben. Ein Fälscherkomplott. Wenn das nichts war.
Gleich nach dem Frühstück würde sie nach Nizza fahren und einen Laptop kaufen. Sie
hatte sich sowieso schon lange einen anschaffen wollen, und das war jetzt die Gelegenheit.
Im zweiten
Geschäft wurde sie fündig. Sie erstand ein superleichtes und, wenn sie dem Verkäufer
glauben durfte, technisch hochkarätiges Notebook. Das Neueste vom Neuen. Prima.
Schon vor
Cagnes wuselte ein buntes Arsenal von Figuren durch ihren Kopf. Das Ganze drehte
sich um einen Galeristen, der am Rande des existentiellen Ruins stand, und um einen
armen jungen Maler, hochbegabt natürlich. Der Galerist war gutaussehend, Mitte 40
und unglücklich verheiratet, der Maler auch gutaussehend und unglücklich verliebt.
Oder nein, vielleicht doch nicht so gutaussehend.
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