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Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Titel: Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Helene Bubenzer
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Freundin (Alice hatte es selbst gesagt: »Du und ich, wir schaffen das schon.« Von Tiger war nicht die Rede gewesen.).
    Ich hatte eine Liebe (was auch immer das genau sein mochte, wertvoll war es jedenfalls.)
    Ich beschloss, dass es sich mit diesen Voraussetzungen durchaus leben ließ.
    Alice war eigentlich ein sehr lebenslustiger Mensch. Es gab Tage, da war sie unbeschwert und fidel. Ihr Herz war voll Humor und Freude, und sie war trotz ihrer Schüchternheit nie der Ausgelassenheit abgeneigt. Dazu kam ein Hang zum Träumen und zur Unordnung, was sie immer wieder in peinliche Situationen brachte, über die sie sich später fürchterlich ärgerte. Sie hatte Temperament und einen eigenen Kopf. Doch das Leben hatte es ihr nicht leicht gemacht. Oft überfiel sie eine schreckliche Schwermut, und ich wusste bald, dass deren Ursache der Verlust von William war. In solchen Momenten lag ein Schatten über jedem Lächeln und jeder Spaß konnte sofort ins Gegenteil umschlagen. William fehlte ihr. Ein Stück von ihr fehlte, doch sie versuchte tapfer, die Lücke irgendwie zu füllen.
    Es dauerte nicht lang, da gewöhnte sie sich an, pausenlos mit mir zu sprechen. Das war eigentlich sehr schön, denn ich fühlte mich wahrgenommen und erfuhr zudem viel über Alice und vor allem über das Leben, das mir ja noch gänzlich unbekannt war. Obendrein schien es ihre Traurigkeit zu vertreiben. Doch es entspannen sich merkwürdige Monologe ihrerseits, die mir bald vor Augen führten, dass nicht ich gemeint war. Sie brauchte einfach ein Gegenüber. Eigentlich brauchte sie William.
    Was an meinem ersten Tag wie eine scherzhafte Bemerkung geklungen hatte, traf auf eine eigentümliche Weise zu: Ich war der Mann in Alices Leben.
    Sie erzählte mir, was sie am Tag in der Schreibstube erlebt hatte, wo sie arbeitete; sie erzählte von Büchern, die sie las. Sie teilte ihre Geldsorgen mit mir und ihre Vorfreude auf eine Gartengesellschaft in Conward House, zu der Elizabeth sie geladen hatte. Hatte sie sich einen neuen Schal gekauft, wurde er mir vorgeführt. Und wenn es um die Wahl des Hutes ging, fragte sie mich auch um Rat. Nicht, dass meine Meinung dabei wirklich von Belang gewesen wäre. Sie unterstellte mir tatsächlich, dass ich den braunen Hut lieber mögen würde als den blauen, dabei war das Gegenteil der Fall. Aber wer nicht sprechen kann, wird nicht gehört. Wer nicht gehört wird, kann seine Meinung nicht sagen. Wer seine Meinung nicht sagen kann, stimmt (zumindest augenscheinlich) zu. Ich war ein vermeintlicher Ja-Sager. Dieser Umstand erschien mir von Anfang an als fürchterliche Zwangslage. Bis ich eines Tages einen Vorteil erkannte: Ich konnte immerhin denken, was ich wollte, ohne dass sich jemand daran störte oder mir widersprach. Welch enorme Freiheit darin liegt, wurde mir erst viele Jahre später klar, als ich mit ansehen musste, wie Menschen auf brutale Weise gezwungen wurden, ihre Gedanken zu verleugnen und geheim zu halten und ihr Leben und das von anderen mit Lügen zu retten.
    Je deutlicher wurde, dass meine Meinung in den monologischen Dialogen mit Alice nicht gefragt war, umso ausgeprägter wurde sie. Bald hatte ich zu jedem Thema, das sie mit mir diskutierte, eine klare Ansicht.
    Wenn sie berichtete, dass sie von ihrem unsagbar unhöflichen Chef wieder eine Rüge bekommen hatte, weil sie zu spät gekommen war, fand ich nicht, dass er unrecht hatte, wenn er sie zur Pünktlichkeit ermahnte. Sie war dauernd in Eile und nie rechtzeitig fertig, was sie permanent in Schwierigkeiten brachte. Warum stand sie nicht einfach fünf Minuten früher auf? Das fragte sich nicht nur ihr Chef.
    Und als sie mir einmal das dramatische Liebes-Dilemma von einer gewissen Miss Bennett und einem Mister Darcy schilderte, war ich fassungslos, wie mitfühlend sie an der Geschichte der beiden Anteil nahm. So wie sie es schilderte, war das trotzige Verhalten dieser Frau so albern und der gekränkte Stolz des Mannes so kindisch, dass ich mich ernstlich fragte, was aus Alice werden sollte, wenn sie sich diese Leute zum Vorbild nahm. Ich hoffte sehr, sie würden uns niemals besuchen.
    Hätte Alice außerdem auf meinen Rat in Sachen Mode gehört, hätte sie eleganter ausgesehen. Ich hätte ihr zu einem Schal in Grün geraten und dazu den dunkelgrünen Cloche empfohlen – das hätte so wunderbar zu ihren Augen gepasst. Aber wer war ich, dass mein Geschmack in Kleiderfragen ausschlaggebend gewesen wäre? Doch immerhin, ich hatte Geschmack, das kann nicht

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