Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Titel: Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Helene Bubenzer
Vom Netzwerk:
richtig Kuchen essen.«
    »Ist Ilona nicht traurig, wenn wir allein gehen?«, fragte sie.
    »Nein. Ilona weiß, dass dieser Tag nur dir und mir und Mama gehört.« Seine Stimme wurde immer leiser.
    »Aber du bist dann auch immer so traurig.«
    »Ich verspreche dir, kein langes Gesicht zu machen. Ich habe ja dich, und das ist für mich das größte Geschenk.«
    Nina sah ihren Vater streng an.
    »Nicht traurig werden!«, sagte sie nachdrücklich.
    Maurus nickte lächelnd. Kurz darauf erklang aus dem Musikzimmer Klaviermusik. Maurus spielte den Sommer herbei, und ich dachte über Ninas Mutter nach, von der ich bis vor fünf Minuten nichts gewusst hatte. Mein Leben war wie ein Puzzlespiel, nur dass ich vorher nicht wusste, welches Bild am Ende entstehen sollte. Immer konnte plötzlich aus heiterem Himmel ein neues Teil dazukommen und alles verändern. Ich ärgerte mich, dass ich Nina nicht fragen konnte. Ich ärgerte mich, dass ich mich nicht weiter aus dem kleinen Fenster, das den Ausschnitt meines Blicks bestimmte, hinauslehnen konnte, um ein wenig nach links und rechts zu schauen. Ich war dem Anschein aufgesessen und hatte eine Regel vergessen, die mir eigentlich in Fleisch und Blut übergegangen war: Nichts ist so, wie es scheint. Alles und jeder hat eine eigene Geschichte, und was man kennenlernt ist immer das Ergebnis dieser Geschichte. Und meistens musste ich mir die Details teilweise über Jahre sehr mühsam zusammenreimen. An manchen Stellen aber blieben für immer weiße Flecken, die ich nicht zu füllen vermochte.
    Ich durfte mit ins Café Ruszwurm – ich durfte eigentlich überall hin mit –, und es war wie eine Zeitreise. Wir nahmen an dem kleinen Tischchen Platz, das am dichtesten an dem runden, weißen Kachelofen stand. Nina und ich rückten nah an den bullernden Ofen heran. Vom schiefen, überlasteten Garderobenständer neben uns zog mir der Geruch feuchter Jacken in die Nase. Der Winter war noch einmal zurückgekommen, und es hatte begonnen zu schneien. Dicke, weiße Flocken fielen vom Himmel, was es drinnen umso gemütlicher machte. An den hellen Wänden der Konditorei hingen alte Fotografien, die davon erzählten, wie viel in diesen Räumen schon passiert war. Wir saßen auf einem der niedrigen Sofas, die mit grün-weiß gestreiftem Samt bezogen waren, und man konnte deutlich die Sprungfedern erkennen, die versuchten, sich von unten durch den Stoff zu drängen. Als die Tür geöffnet wurde, klimperte das Kristall im Kronleuchter über uns leise. Es hörte sich fast an wie ein Lied. Maurus und Nina sahen sich an, und aus unerfindlichen Gründen wusste ich genau, was sie dachten: Das war Mama, dachten sie, sie wollte uns sagen, dass sie da ist. Und wer weiß, vielleicht hatten sie ja recht.
    »Alles gut?«, fragte Maurus, als der Zauber des Moments verflogen war.
    Nina verdrehte die Augen.
    »Papa!«
    »Ich frage ja nur.«
    »Ich möchte eine heiße Schokolade, wie Mama!«
    Maurus bestellte das Gleiche für sich, und dazu orderten sie die Kuchenspezialität des Tages. Eine in die Jahre gekommene Kellnerin mit griesgrämigem Gesicht bediente sie. Nina schnitt ihr eine Grimasse hinterher, und Maurus musste lachen. Sie war gekleidet wie die Dienstboten damals im Hause der Browns. Auf dem Kopf trug sie ein Häubchen, das bei jedem ihrer Schritte wackelte. Auf kleinen Silbertabletts brachte sie die Teller und Tassen und stellte alles vornehm vor den beiden ab.
    »Köszönöm«, bedankte Nina sich artig und betrachtete das enorme Stück Torte auf ihrem Teller.
    »Auf dich, Csillagom«, sagte Maurus und ließ seine Kakaotasse gegen ihre klingen. »Und auf Mama.«
    Sie sahen sich an und grinsten. Nina mochte es, wenn er sie Csillagom, mein Stern, nannte.
    Ich versuchte, mir Laura und Bernard in dieser Situation vorzustellen. Sie hätten sicher an einem Caféhaustisch gesessen und schweigend jeder für sich seine Wunden geleckt. Es war doch immer wieder erstaunlich, wie unterschiedlich die Menschen waren.
    Es wurde Ostern. Zum achtundsechzigsten Mal für mich.
    Maurus brachte einen riesigen Korb voll Eier nach Hause.
    »Du lieber Himmel, hast du eine Hühnerfarm überfallen?«, fragte Ilona.
    »Diese Eier, meine Liebste, haben mich einen Haufen Zeit und Nerven gekostet. Ich wünsche mir dieses Jahr die schönsten Eier der Welt.«
    »Tja, dann werde ich wohl die nächsten Tage in der Küche verbringen … Wie schade, eigentlich sitze ich ganz gern auch mal im Wohnzimmer«, erwiderte Ilona und lachte.
    »Wir

Weitere Kostenlose Bücher