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Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Titel: Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Helene Bubenzer
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sich bei ihm ein.
    Ich sah sie an. Laura. Sie war so groß geworden, so erwachsen und eigentlich ein nettes Mädchen. Eine Welle später Sympathie durchfloss mich.
    Bernard hatte die Klinke schon in der Hand, da hörte ich leise Lauras Stimme: »Ciao, Paolo«, sagte sie, und ich war mir im ersten Moment nicht sicher, ob sie es wirklich gesagt hatte. Doch als ich ihren Blick auffing, wusste ich es genau. Ich werde ihr ewig dankbar sein, dass sie sich auch von mir verabschiedete. Endlich hatte alles seine Ordnung.
    Zum ersten Mal, dachte ich, ist bei der Familie Hofmann so etwas wie Frieden eingekehrt.
    Maurus und Ilona folgten den beiden zur Tür. Hinter dem Wandschirm klangen ihre Stimmen gedämpft. Ich sperrte die Ohren auf. Aus Erfahrung wusste ich, dass die wichtigsten Dinge oft in den Minuten des Abschieds gesagt werden. Viele Menschen schaffen es einfach nicht vorher.
    »Sie ist jetzt stabil, aber ihr müsst sie im Auge behalten«, sagte Bernard eindringlich. »Die Aufbaupräparate schlagen gut an, aber ihr Körper ist sehr geschwächt. So ein Zusammenbruch des Immunsystems kann viele Gründe haben. Wir haben jetzt weiter nichts Auffälliges gefunden, aber wie gesagt: Es gibt viele Ursachen. Versprich mir, dass du dich meldest, wenn etwas ist.«
    »Danke, Bernard. Ich halte dich auf dem Laufenden. Du weißt gar nicht, wie froh ich bin, dass ihr gekommen seid. Wir hatten ja schon so viel ausprobiert. Ohne dich hätte ich den Mut verloren.«
    »Nun seht zu, dass ihr auf die Straße kommt«, unterbrach Ilona die Abschiedsrede. »Maurus ist immer so pathetisch.« Sie lachte. »Aber sonst wäre er wahrscheinlich auch nicht so ein hervorragender Pianist.«
    »Danke, Ilona, du bist zu gut«, sagte Maurus. »Also, ihr zwei, keine langen Verabschiedungen – Befehl von oben. Gute Fahrt.«
    Ich hörte die Tür. Dann erschien Maurus’ Kopf hinter dem Wandschirm. Er sah müde aus.
    »Na, mein Stern, ist alles in Ordnung?«
    Nina nickte.
    »Dann gehen wir jetzt auch.«
    »Ist gut.«
    »Bis morgen, Prinzessin. Schlaf dich gesund.«
    Sie küssten Nina, der eine rechts, der andre links, und sie bohrte ihre Nase in mein Nackenfell.
    Ilona und Maurus kamen jeden Tag ins Szent János Hospital. Sie fuhren quer durch die Stadt, um Nina und mich in der Klinik am Stadtrand zu besuchen, und bald sah selbst ich, dass Nina Fortschritte machte. Sie musste sich nicht mehr übergeben, und auch der Husten ließ nach, nur die Blässe verschwand nicht aus ihrem Gesicht.
    »Ich habe dir Túró Rudis mitgebracht. Drei Stück«, sagte Ilona, als sie ins Zimmer kam. Nina liebte diese Schokoriegel, die Quarkfüllung mochte sie lieber als alles andere. »Einen für jetzt, einen für nachher und einen für die Heimfahrt.«
    »Für die Heimfahrt?«, fragte Nina.
    Durften wir nach Hause?
    »Doktor Szabó sagt, dass du so weit stabil bist, dass du nach Hause kannst.«
    »Hast du das gehört, Mici? Wir dürfen nach Hause!«
    Und wie ich das gehört habe!
    Nina blühte auf.
    Das Leben in der Wohnung in der Mátyás utca war neu für mich. Es war ungewohnt, ohne Bernard und Laura zu sein, doch ich fühlte, dass ich an Ninas Seite gehörte, und dachte bald kaum noch an sie.
    Ich hatte inzwischen begriffen, dass Budapest in einem Land lag, in dem das Leben nach anderen Regeln verlief, als ich es gewohnt war. Doch im Alltag zu Hause merkte ich nur, dass die Menschen weniger hatten, es erinnerte mich ein bisschen an die Zeiten nach dem Krieg, als nicht alles zu bekommen war. Mir war schon immer klar gewesen, dass die Hofmanns keine Not gelitten hatten, doch wie reich sie waren, wurde mir erst hier richtig deutlich. Der Fernseher der Andrássys war ein altes Schwarz-Weiß-Modell, ungefähr so, wie die alte Flimmerkiste der Brioches in den Fünfzigern. Maurus hatte kein Auto. Der Kühlschrank quoll nicht gerade über, und Weihnachten fiel eher spärlich aus. Alles, was auch nur irgendwie an einen Luxusartikel erinnerte, hatte trotzdem höchstens den Charme der frühen Siebzigerjahre. Ich hatte all diese Epochen erlebt und erkannte vieles wieder. Wie kam es, dass in diesem Land das Jahr 1989 so anders aussah als in der Schweiz? Ich begriff das nicht. Leider war auch nicht zu erwarten, von Nina darüber Aufklärung zu erhalten. Wenn sie sich nicht ausruhte, war sie hauptsächlich damit beschäftigt, sich Geschichten auszudenken. Geschichten über andere Kinder, über Tiere und Arthur, den kleinen dicken Engel aus der Zeichentrickserie, der in Notsituationen mit

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