Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)
lässt uns dieser feine Staat doch total hängen. Wenn ich denke, dass ich meinem Kind nicht die Hilfe geben kann, die es bräuchte und woanders auch haben könnte, wird mir speiübel vor Wut.«
»Mach dir keine Gedanken«, erwiderte Bernard. »Wir kriegen das schon hin. Du hast mir damals geholfen, jetzt helfe ich dir.«
Ich fragte mich, wie Maurus ihm geholfen hatte, aber darüber schwiegen die Männer einvernehmlich. Und als die Stille zu laut wurde, sagte Bernard:
»So, und nun möchte ich gern mit meinem Freund Maurus ein Bier trinken gehen und über alte Zeiten sprechen. Soproni Ászok, bitte!«
Ich blieb hellwach in der Stille der Nacht zurück und fragte mich, was das für Menschen waren, die um ihrer Politik willen ein Kind leiden ließen.
Nina weinte leise im Schlaf.
Am nächsten Tag wurden Nina und ich ins Krankenhaus gebracht.
»Ich war schon mal im Krankenhaus«, sagte Nina. »Du auch?«
Ja. Und ich fand es nicht besonders schön.
»Die Schwestern sind immer nett. Und die Ärzte eigentlich auch. Aber es ist ganz schön langweilig.«
Wenn’s weiter nichts ist! Wir können gerne den ganzen Tag spielen.
»Aber jetzt bin ich ja nicht allein.«
Die Ruhe und Ergebenheit von Nina machte mich richtig beklommen. Nach all den Jahren an Lauras Seite, die von lautstarkem Protest geprägt waren, kam es mir fast falsch vor, dass Nina sich gar nicht auflehnte. Wieso tobte und schimpfte sie nicht, dass sie gesund werden wollte?
Ninas Bett stand hinter einem Wandschirm in einem großen Zimmer. Es war groß und weiß, und Nina sah darin noch kleiner aus, als sie ohnehin schon war. Sie hatte einen kleinen Nachttisch, und neben ihrem Bett stand ein gelber Hocker. Das Beste aber war das Fenster, das eine Aussicht auf den Wald hatte. Die Oktobersonne fiel durch die bunten Blätter an den Bäumen. Es war hell und luftig, ganz anders als in dem Krankenhaus in Florenz, doch der sterile Geruch, der durch die Gänge waberte, war derselbe. Ich erkannte ihn sofort.
Ein Mann kam herein und gab erst Nina, dann Maurus, dann Bernard die Hand.
»Du musst Nina sein«, sagte er. »Ich heiße Lajos Szabó.« Dann zeigte er auf mich. »Und wer ist das?«
»Mici«, sagte Nina. »Er kommt aus der Schweiz.«
»Mici, aha«, sagte der Doktor. »Ein Spion …«
»Ja«, antwortete Nina und sah ihn herausfordernd an. »Sie müssen alles richtig machen!«
Szabó lächelte.
»Na, dann wollen wir mal keine Zeit verlieren.«
Er sah Bernard an, der nickte. Die Untersuchungen dauerten ewig. Ich fragte mich, wonach sie eigentlich suchten. Was hatte sich denn so gut in Ninas Körper versteckt, dass sie es nicht fanden? Bernard fand doch sonst alles.
»Ihr müsst Geduld haben«, sagte er immer wieder, wenn er Maurus’ und Ilonas Blicke auffing. »Gebt uns noch ein bisschen Zeit.«
Sie legten dünne Schläuche, die in Ninas Armen verschwanden, sie gaben ihr Tabletten und Spritzen, und ich hatte das Gefühl, sie würde immer durchsichtiger, ihre Haut bekam eine pergamentene Blässe und dabei einen fast bläulichen Schimmer. Ich machte mir Sorgen, denn Bernard, in den alle so große Hoffnungen gesetzt hatten, schien keinen Erfolg zu haben.
Aber dann, eines Morgens, trat plötzlich eine Verbesserung ein. Nach ein paar Tagen in der Klinik ging es plötzlich mit Nina bergauf. Am vierten Morgen wachte Nina auf und verkündete:
»Ich habe Hunger.«
Doktor Szabó war begeistert.
Sie haben ein Mittel gefunden, das ihren Körper wieder zur Vernunft bringt, dachte ich und war bestimmt nicht der Einzige, der erleichtert war.
Maurus und Ilona waren richtig ausgelassen, so befreit waren sie. Ich hörte sie scherzen und lachen. Bernard gab ihnen Sicherheit und Zuversicht, zwei Dinge, die, wie ich gelernt habe, in dieser Welt schwer zu bekommen sind.
Als wir ankamen, waren die beiden so bedrückt gewesen, ihre Gesichter waren so grau gewesen, dass man sie kaum von den Wänden in ihrer dunklen Wohnung unterscheiden konnte, doch nun kehrte langsam die Farbe in das Leben der Andrássys und auf Ninas Wangen zurück.
Bernard und Laura kamen noch einmal ins Krankenhaus, um sich zu verabschieden.
»Bald geht es dir besser, kleine Nina«, sagte Bernard. »Und wenn du ganz gesund bist, kommst du uns in der Schweiz besuchen!« Er kniff Nina in die Wange. »Bis bald, also.«
»Danke, Genossen«, sagte Nina, und alle lachten.
»Szia, Nina«, sagte Laura und hielt beide Daumen in die Luft. »Mach’s gut.« Sie drehte sich zu ihrem Vater um und hakte
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