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Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Titel: Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Helene Bubenzer
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Bernard an.«
    Maurus nickte schwach und rieb sich müde die Augen.
    »Wahrscheinlich hast du recht. Wie immer.«
    Er schwieg eine Weile.
    »Wenn wir sie doch bloß nach Wien bringen könnten oder zu Bernard in die Klinik in Olten, Hauptsache weg aus diesem … diesem …«
    »Still, Maurus«, sagte Ilona und blickte sich um. »So machen wir uns keine Freunde.«
    Er wurde wütend.
    »Wir haben hier sowieso keine Freunde, verstehst du das nicht? Ich darf mein Kind nicht retten lassen. Ich hasse dieses Land. Es will mir alles nehmen, was …« Er brach ab und griff nach ihrer Hand. »Entschuldige. Bitte, verzeih. Ich bin nur so verzweifelt.«
    Ilona lächelte ihn beruhigend an.
    »Wir schaffen das. Zusammen schaffen wir das. Und ich bin sicher, Bernard kommt, um uns zu helfen.«
    Ich war so froh, dass sie sich wieder vertragen hatten. Es war ein Schock gewesen, Ilona an diesem schrecklichen Nachmittag einfach davongehen zu sehen. Wie gut, dass sie so einen starken Willen hatte, mit dem sie Maurus in seiner Verzweiflung die nötige Kraft geben konnte, um der Angst ins Gesicht zu sehen. Er tat mir leid. Sie beide taten mir leid.
    Nina wachte häufig nachts auf, doch die Dunkelheit schreckte sie nicht. Meist sprach sie dann leise mit mir, flüsterte mir ins Ohr und fuhr mit ihrem kleinen Daumen über meinen Trostpunkt.
    »Ich denke oft an Mama«, sagte sie eines Nachts. Der Mond war hinter den Wolken verschwunden, und es war finster im Zimmer. Ein Schauer lief mir über den Rücken.
    »Sie ist schon lange im Himmel«, fuhr sie fort. »Früher hat Papa immer erzählt, dass sie dort oben sitzt und auf uns aufpasst. Glaubst du, sie hat vergessen, auf mich aufzupassen?«
    Ich weiß nichts vom Himmel, ich habe keine Ahnung, ob man dort oben sitzen und auf andere Menschen aufpassen kann. Die Frage hatte ich mir ehrlich gesagt noch nie gestellt.
    Nein, ich glaube nicht, dass sie vergessen hat, auf dich aufzupassen.
    »Ich frage mich, ob sie ein Engel ist. So wie Arthur aus der Zeichentrickserie.«
    Mir gefiel, dass Nina sich ihre Mutter als einen Engel vorstellte, der viel Spaß hatte und pausenlos Leute aus brenzligen Situationen rettete.
    »Wenn sie ist wie Arthur, dann wird sie mir sicher helfen, wieder gesund zu werden.«
    Das hoffe ich.
    »Ich muss gesund werden«, sagte sie schläfrig.
    Ja. Unbedingt.
    »Wir wollen doch zu meinem Geburtstag in den Zirkus«, fügte sie hinzu und schloss die Augen. Sie hustete nicht mehr in dieser Nacht, doch ihr kleiner Körper pulsierte in heißem Fieber.
    Der April ging bereits in die zweite Hälfte, als die Diagnose endlich feststand. Akute lymphatische Leukämie.
    Der Begriff Krebs fiel kein einziges Mal in Ninas Gegenwart, niemand sprach jemals aus, wie die Krankheit hieß, die sie langsam von innen heraus auffraß. Doch Nina war klug, und auch wenn sie niemals erfuhr, dass sie Krebs hatte, wusste sie doch genau, was ihr fehlte.
    »Mein Blut ist krank«, erklärte sie mir tapfer. »Und meine Knochen auch. Nächste Woche kommt Onkel Bernard, um mich wieder gesund zu machen.«
    Ich schwieg. Was sollte ich auch sagen. Ich wusste nichts über Krankheiten, ich wusste nichts über den Tod, selbst über das Leben wusste ich wenig. Das Einzige, wovon ich etwas verstand, war die Liebe. Nina musste aus ganzem Herzen lieb gehabt werden, so viel war mir klar. Diese Aufgabe übernahm ich gern.
    Als Bernard kam, hatte Doktor Szabó bereits mit der Chemotherapie begonnen. Nina bekam Bestrahlungen und wurde zusehends weniger.
    Ich lag Nacht für Nacht in ihren Armen und spürte, wie sie immer dünner, wie ihr Körper immer schwächer wurde und die kleine Nina langsam zu verschwinden schien. Sie fiel häufig in einen Dämmerzustand zwischen Wachen und Schlafen, fügte sich widerstandslos in alles, was von ihr verlangt wurde, und bemühte sich, ihren Vater anzulächeln, so gut es ging.
    »Du darfst nicht traurig gucken, Papa«, sagte sie streng. »Mama passt doch auf uns auf.«
    »Ja, mein Stern, du hast recht. Mama passt auf uns auf«, sagte er und schluckte.
    Es fällt mir schwer, mir Maurus’ graues Gesicht in Erinnerung zu rufen, ohne dass sich mir der Hals zuschnürt. Es fällt mir überhaupt schwer, mich an diese Wochen im Krankenhaus zu erinnern, ohne das Gefühl zu haben, innerlich zerrissen zu werden.
    Es war beruhigend, Bernard wiederzusehen. Ich bemerkte, dass auch in Maurus und Ilona Hoffnungsfunken glühten. Doch Bernard konnte ihn nur schwer am Glimmen halten.
    »Doktor Szabó hat alles

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