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Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Titel: Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Helene Bubenzer
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können dir ja helfen«, sagte Maurus. »Seltsam, draußen schienen es mir gar nicht so viele zu sein.«
    Nina kam aus der Küche gerannt.
    »Hui, Papa, das sind aber viele Eier.«
    »Ja, und die werden wir alle hübsch färben und anmalen.«
    »Jawohl«, sagte Ilona. »Dieses Jahr treiben wir es bunt.«
    Es gab scheinbar eine Menge vorzubereiten, Maurus’ Schwester Zsuzsa war mit ihrem Sohn Gyula eingeladen, und auch Ilonas Mutter hatte sich angekündigt.
    »Meinst du nicht, das wird ein bisschen zu viel für Nina?«, hatte Ilona gefragt.
    Und Maurus hatte erwidert: »Sie hat so viel entbehrt, und jetzt freut sie sich so auf das Fest. Den Spaß will ich ihr lassen. Wir müssen sie einfach manchmal ein bisschen bremsen.«
    Aber Nina war kaum zu bremsen. Die Tage vor dem Osterfest verbrachten wir mit Ilona in der Küche. Ich liebe Küchen. Seit Lili und ich damals in Bloomsbury unsere Nachmittage in Mary Janes Küche verbrachten, sind sie für mich ein magischer Ort. Sie quellen über vor Sinneseindrücken, und sie beherbergen die Lebensfreude. Es scheint mir, dass die Menschen sich dort trauen zu zeigen, wie leidenschaftlich sie sind. In der kleinen Budapester Küche war das nicht anders. Ilona rührte Teig und schlug Eischnee, bis ihr der Schweiß auf die Stirn trat, und Nina half mit roten Wangen mit, wo immer sie konnte. Sie stieg auf eine kleine Trittleiter, Ilona krempelte ihr die Ärmel auf und dann fingen die beiden an, zu färben und zu backen und zu kochen. Am Ostersonntag sollte es Osterschinken mit Kren geben, am nächsten Tag Schichtkraut, das alles mit einer braunen, nicht näher bestimmbaren Soße, und außerdem mussten noch ein Osterzopf hergestellt und die Eier behandelt werden. Sie hatten so viel Spaß.
    Nina wirbelte in einer Schüssel Eier und Mehl zusammen und staubte vor Eifer die ganze Küche ein, vielleicht sah deshalb niemand außer mir, dass sie wieder viel blasser geworden war.
    Als Maurus im Musikzimmer anfing, Klavier zu spielen, hielten die beiden für einen Augenblick inne.
    »Papa«, rief Nina so laut, dass sie husten musste. »Papa. Das ist ein Weihnachtslied!«
    »Was?«, rief Maurus gespielt ungläubig. »Das glaube ich nicht!«
    »Doch«, rief Nina und kicherte. »Es ist aber Ostern!«
    Doch Maurus spielte unbeirrt weiter. Ilona und Nina sahen sich an und begannen dann wie aus einem Mund zu singen:
    »Kis karácsony, nagy karácsony. Kisült-e már a kalácsom? Ha kisült már, ide véle, hadd egyem meg melegében.«
    »He, jetzt singst du auch noch falsch«, rief Nina.
    »Was? Ich singe falsch? Das liegt daran, dass dein Vater zu Ostern Weihnachtslieder spielt. Ich kann das nur im Dezember«, rief Ilona mit gespieltem Ernst.
    »Hör mal«, sagte Nina streng, »das geht doch so!«
    Und sie begann von vorn, obwohl ihr Vater nebenan bereits an einer ganz anderen Stelle der Melodie angelangt war. Dazu schwang sie den Holzlöffel und die Ärmel ihres Pullovers rutschen über ihre dünnen Ärmchen. Mitten in der zweiten Zeile brach sie plötzlich ab. Sie schwankte. Die Trittleiter, auf der sie stand, wackelte, und als sie stürzte, gelang es Ilona nicht, den Schinken rechtzeitig von sich zu werfen, um sie aufzufangen.
    »Maurus«, schrie sie, und ihre Stimme versagte in Panik. »Maurus!«
    Sie ging neben Nina auf die Knie, die merkwürdig verdreht auf dem grauen Linoleumboden lag, während sich eine Wolke aus Mehl wie weißer Nebel auf sie senkte.
    Doktor Szabó steckte wieder eine Vielzahl von Nadeln und Schläuche in Ninas schlaffen Körper, und Maurus machte Ilona Vorhaltungen.
    »Warum hast du sie auch auf der Leiter stehen lassen?«, fuhr er sie an. »Sicher ist ihr schwindelig geworden.«
    »Maurus, ihr ist nicht schwindelig geworden«, sagte Ilona und massierte ihre Stirn. »Sie war völlig in Ordnung.«
    »War sie eben nicht, sonst wäre sie ja nicht einfach runtergefallen.« Maurus hielt mich fest in den Händen, seine Pianistenfinger drehten mich unablässig, tasteten und umfassten mich. Seine Nervosität ging mir augenblicklich unters Fell. Seit dem Moment, als Nina wie eine Marionette mit abgeschnittenen Fäden auf den Küchenboden gefallen war, standen meine Gedanken still. Das Bild des regungslosen Mädchens verschwand nicht vor meinem inneren Auge. Panik war in mir hochgestiegen, die gleiche Panik wie damals, als Friedrich leblos unter mir zusammengesackt war, als sein Körper aufgehört hatte zu leben.
    »Es ist nicht meine Schuld, Maurus. Sie ist einfach

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