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Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman

Titel: Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Narrifas!«
    »Wasser«, flüsterte ich.
    Ich bekam ein Glas, leerte es, das Wasser schmeckte abgestanden, vielleicht war es das Gleiche, das für die Taufe benutzt wurde und hier im Becher jedes Mal stehen blieb, so dachte ich, ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ich das dachte, dass ich Wasser trank, mit dem schon Hunderte von Kindsköpfen getauft worden waren. Ich bat um ein zweites Glas und fühlte mich nicht besser. Dann gingen wir ins Kirchenschiff, durch die Tür neben dem Altar, oh, wie ich Tora in diesem Moment segnete, sie war unsere Eskorte, unsere Beschützerin, und schließlich fanden wir unsere Plätze am Ende der ersten Reihe. Die Überfahrt konnte beginnen. Und ich war nicht wirklich waterproof. Ich verschränkte die Hände zwischen den Knien, presste sie zusammen, kaute laut und schluckte, und ich spürte, wie sich das Gewicht der Geschlechter auf meinen Rücken legte, die ganzen Juell, von Sigrids Seite, und die ganzen Horn, von meiner Mutter Seite. Es roch nach Harz und Kapital. Dieses rasselnde Geräusch von Perlen, Auszeichnungen und Medaillen schnitt in den Ohren. Ich durfte mich jetzt nicht umdrehen. Das durfte ich nicht, auf keinen Fall. Ich drehte mich um, und das Erste, was ich unter all diesen Passagieren in diesem vollbesetzten Schiff sah, das war der absolute Blick von Direktor Lund. Was hatte er im Büro gesagt? Wir kommen ja nicht um dich herum, Bernhard. Seine Ehefrau, die selige Alma, nickte kurz, und ich konnte nicht erkennen, ob es eine aufmunternde oder eine zurechtweisende Geste war, die Lunds unumgänglichen Blick betonen und unterstreichen oder nur abmildern wollte, damit die Summe ihrer Grüße zumindest als wohlgesonnen bezeichnet werden konnte. Ich war in diesem Moment bereit, mir nicht nur eigenhändig beide Arme zu amputieren, sondern auch eine vollständige Ektomie meiner selbst vorzunehmen.
    Und in dem Augenblick brach die Orgel los, alle standen auf, die Türen wurden geöffnet, und Sigrid kam Arm in Arm mit ihrem Vater den Mittelgang entlang. Ihre Mutter, Agnes Juell, die auf der anderen Seite stand, wischte eine Träne unter dem Hut fort. Sigrid war prachtvoll, wie ich hinterher hörte, und auch auf einigen Fotos gesehen habe, die von uns beiden gemacht wurden und die ich schon vor langer Zeit verbrannt habe. In dem weißen Brautkleid hob sie ihre eigene Schwerkraft auf und sah aus wie ein muskulöser Engel, während der Brautschleier ihre symmetrische Schönheit, der ich einst verfallen war, hervorhob und nicht verdeckte. Ich dagegen war vor allem mit meinem Trauzeugen beschäftigt.
    »Die Ringe, Notto. Die Ringe!«
    Notto fand die Ringe in der Weste und legte sie mir in die Hand. Er legte noch etwas anderes dort hinein: das kleine Etui mit den black drops. Recht und Wahrheit, dachte ich plötzlich. Notto Fipp, mein König! Seine Orden musste ich nicht zurückgeben. Sigrid schwebte vorbei, ihr Vater ließ los und überließ sie mir, und sogleich nahmen wir alle vier Aufstellung vor dem Pfarrer am Altar. Jetzt waren wir an der Reihe. War es Gelächter, das ich hörte, das leise, gebildete, herablassende Gelächter, wohlwollend und böse, das mir so vertraut war? War ich derjenige, über den sie lachten? Lachten sie, weil sie wussten, dass ich Sigrid Juell nicht verdiente, die meistgefragte Frau dieser Gegend? Nein, es war Notto Fipp, über den sie lachten. Ein Hosenträger hatte sich bei ihm gelöst, die Hose rutschte über seine knochige Hüfte, und er musste die ganze Zeit das Bündchen festhalten, um die Hose an Ort und Stelle zu halten, und so blieb er mehr oder weniger schief in wackliger Position stehen. Es war meine Schuld. Alles war meine Schuld. Alles Unglück, alle Missverständnisse und Blamagen nahm ich auf meine Kappe und tue es immer noch. Ich brachte Menschen in Verlegenheit. Tora verdrehte die Augen. Eine Weile glaubte ich, sie würden sich ganz nach innen drehen und das corpus vitreum selbst nach außen wenden. Die arme Frau. Schließlich begann der Pfarrer mit den alten Sprüchen, es wurde still im Saal, mit diesen Segensworten, in guten wie in schlechten Tagen, bis dass der Tod euch scheide, wenn er gewusst hätte.
    Sigrid schielte hinter ihrem Schleier, während der Pfarrer weiterschwätzte.
    »Was hast du gemacht?«, flüsterte sie.
    »Frag mich niemals danach.«
    »Du mich auch nicht.«
    »Du warst diejenige, die angefangen hat«, flüsterte ich. »Aber danke für die Rose.«
    Tora schubste Sigrid, die gehorsam der Strafpredigt des

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