Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman
Ochsenzunge und Truthahn kamen, wurde es schlimmer. Ich sah bereits, wie sich die einzelnen Gerichte vor Notto auftürmten, der von Wesen und Veranlagung her zu pauvre honteux war, um um etwas anderes zu bitten. Lieber per aspera ad astra! Ich ergriff Sigrids Hand unter dem Tisch. Sie war feucht, fast weich, abgesehen vom Ring, meinem Ring, ihrem Ring, warum mussten alle Ringe auf Gedeih und Verderb rund sein? Sigrid dachte wohl, ich hätte andere Absichten und schob mich sanft zur Seite.
»Nicht hier«, lächelte sie.
»Notto verträgt das Essen nicht«, flüsterte ich.
Sigrids Lächeln verschwand.
»Er kann ja wohl essen wie wir anderen auch.«
Das war also die Frau, mit der ich verheiratet war. Oh, diese Harpyie! Ich merkte, wie meine Füße unruhig wurden. Ich konnte doch jetzt nicht anfangen zu trampeln. Stattdessen schluckte und schluckte ich die Schildkrötensuppe, zusammen mit nicht unbedeutenden Mengen an Bordeauxwein, oder war es der Steinwein, na, was auch immer, meine Pleonasmen brauchten ihre Zeit. Die leeren Teller wurden hinausgetragen, und herein kam der Steinbutt in holländischer Sauce, und ich sah Notto Fipps Verzweiflung, so ein Steinbutt war eine Granate für einen alten Seemann.
Ich beugte mich zu Sigrid hinüber.
»Er kann bei Tisch sterben«, flüsterte ich.
»Sei still. Schnaub nicht so!«
Wir wurden nämlich von diesem Sprücheklopfer unterbrochen, der aufstand und so hart gegen das Glas schlug, dass ich dachte, jetzt gäbe es noch einmal ein Hochzeitsknallen. Er hielt sich am Tisch fest, und es verbreitete sich eine gewisse Unruhe, noch gemischt mit wohlmeinendem Gelächter, als er mit einem äußerst platten Witz begann, der hier nicht wiedergegeben werden soll. Anschließend sagte er etwas Vorteilhaftes über Sigrid, und bei diesen Passagen wirkte er plötzlich nüchtern und vernünftig, doch als wir anstoßen wollten und glaubten, der Sprücheklopfer würde sich setzen, aus formellen wie auch natürlichen Gründen, begriffen wir, dass er sein Papier gedreht und die Rednerliste auf den Kopf gestellt hatte.
»Jetzt möchte ich gern dem berühmten Direktor Lund das Wort erteilen. Bitte schön.«
Mein Schwiegervater schaute sich um, blass, wütend, er war kurz davor, einen Skandal zu machen. Aber Lund hatte sich bereits erhoben, mit stoischer Ruhe, dieser Ruhe, die er uns Studenten so oft eingehämmert hatte: Tugend ist das einzig Wahre, Laster das einzig Böse, alles andere ist gleichgültig.
Die Bestecke verstummten.
Ich notiere hier nur Bruchstücke seiner aufwühlenden Rede, denn während er redete, konnte ich kaum die Arme zusammen halten, sie wollten in alle Ecken springen.
»Lieber Bernhard. Seit du angefangen hast, an der Universität Medizin zu studieren und bei uns zu verkehren, haben meine Frau und ich dich wie einen Sohn in unserem Haus angesehen. Auf diese Weise haben wir dich kennengelernt, und wir sind am heutigen Tag ebenso stolz auf dich, als wären wir deine Eltern.«
Das Geräusch von Taschentüchern.
Ich schaute zu Boden, es kann sein, dass auch ich eine Träne vergoss.
»Wir wissen alle, dass du eine schwierige Kindheit gehabt hast. Aber das hat dich nicht verhärtet, sondern gehärtet, und das ist etwas ganz anderes. Der Schmerz, den du erleiden musstest, hat dich zu einem geraden Menschen gemacht, und du hast dich daraufhin entschieden, dein Leben dem Dienst an Hippokrates zu widmen, nämlich die Schmerzen anderer zu lindern. Jetzt hast du außerdem dein Leben deiner Sigrid gewidmet und dadurch deine Verpflichtungen verdoppelt. Aber die Liebe ist unerschöpflich, und ich bin überzeugt davon, dass Sigrid dir die Kraft geben wird, die du brauchst. Historia magistra vitae! Lasst uns auf das Brautpaar trinken!«
Ich schaute auf und begegnete Direktor Lunds Blick. Er hob sein Glas. Ich hob mein Glas. Meine Obduration war damit vollendet. Ich war zu gehärtetem Stahl geworden. Und lag da nicht eine Träne blinkend in einem seiner Augenwinkel? Doch, sie lag dort, eine glänzende Träne, die kurz davor war, auf die Tischdecke zu fallen. Ich hatte ihn über zerschossene Leichen gebeugt stehen sehen, über misshandelte Kinderkörper, totgeborene Föten, halbe Gehirne, zerfetzte Eingeweide, abgeschlagene Gliedmaßen und sterbende, lallende Patienten, ohne eine Miene zu verziehen, weder in der einen noch in der anderen Richtung, aber auf meiner Hochzeit, da weinte er also, denn ein weiteres Mal musste er das Taschentuch herausholen, um die Tränen an Ort und
Weitere Kostenlose Bücher