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Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman

Titel: Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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dort waren, am 12. September 1929, das ist jetzt fünfzig Jahre her, wir würden also dieses Jahr Goldene Hochzeit feiern, schafften es aber nie weiter als bis zur stählernen Hochzeit, sind inzwischen von uns gegangen, einer nach dem anderen und jeder auf seine Art, plötzlich, langsam, unerwartet, unter Schmerzen. Bald werde ich an der Reihe sein, und niemand wird zuvor einen ähnlichen Tod erlebt haben. Ich leerte mein Glas mit Chateau Latour, um nicht mit den Zähnen zu knirschen. Stattdessen trampelte ich heftig auf den Boden, nicht nur einmal, sondern dreimal nacheinander.
    »Hochzeitsknallen«, rief ich.
    Das gefiel den Gästen, es gab ihnen genau die Pause, die sie brauchten, sie lachten, sie entspannten sich, einige klatschten. Sie glaubten wohl, das wäre ein wohlverdienter Fingerzeig von meiner Seite dem ungehobelten und neckischen Sprücheklopfer gegenüber. Sollten sie es doch glauben! Sollten sie doch in dem guten Glauben bleiben!
    Nam, nam.
    »Lieber Einar, liebe Agnes! Vielen Dank für das mir erwiesene Vertrauen, und ich werde, Hand aufs Herz, das für eure Tochter schlägt, versprechen, dass ich des Vertrauens würdig sein werde. Sigrid, mein Ehrenpreis, du hast diesen Tag zum glücklichsten in meinem Leben gemacht. Ich wünschte nur, meine Mutter, mein Vater, meine Eltern, hätten diese Momente zusammen mit mir, mit Sigrid, mit uns allen, erleben können. Das können sie leider nicht aus Gründen, auf die ich nicht näher eingehen möchte. Umso dankbarer bin ich, dass Herr und Frau Lund heute mit uns feiern, denn sie haben mich buchstäblich wie einen Sohn aufgenommen.«
    Ich musste eine Pause machen und mich abwenden. Wieder waren alle in gutem Glauben. Guter Glaube ist eine gute Erfindung. Sie glaubten, ich war zu gerührt, um fortzufahren, was ich ja auch war. Ich war buchstäblich gesprochen bewegt: meine tic convulsif nahmen bald überhand. Die schwarzen Drops in meiner Tasche lockten mich. Doch ich widerstand und bekam mein Gesicht mit Hilfe einer Serviette einigermaßen in den Griff und konnte mit meinem Plädoyer fortfahren:
    »Sigrid, du bist meine Huri, meine Huri, meine ewig junge Prinzessin im Paradies der Gläubigen! Und jetzt, nachdem wir mit den Ketten des Ehebundes aneinandergeschmiedet sind, will ich dein Asklepios sein, der Gott der Heilkunst selbst, dem nach einer Heilung ein Hahn geopfert wurde, nur dass ich eine Henne bekommen habe!«
    Der gute Glaube war immer noch nicht in ungläubiges Staunen übergegangen. Nein, im Gegenteil, meine Redekünste wurden mit wohlmeinendem Gelächter aufgenommen, vielleicht war er ein wenig zu wagemutig, der Bräutigam, eine Henne, er bezeichnet die Braut als eine Henne, aber reden kann er, das muss man ihm lassen. Ich musste zu einem Ende kommen. Ich musste so schnell wie möglich zu einem Ende kommen. Die Worte saßen im Mund fest, und es war mir nicht möglich, zu schlucken, ich schluckte, aber es gelang mir nicht. Stattdessen erbrach ich sie.
    »Meine Damen und Herren! Ich möchte von dem, was ich gerade gesagt habe, einiges zurücknehmen. Sigrid, mein zerbrechliches Hymen, ist keine Henne. Es ist bereits gebrochen. Denn der Urin einer Jungfrau muss schön dünn sein und in Saus und Braus gelassen werden! Hic rhodus, hic salta! Noch einmal!«
    Ich hob mein Glas und sprach einen Toast auf die Braut aus, hier darfst du tanzen und zeigen, wer du bist, setzte mich sogleich und konnte mich kaum an ein Wort von dem erinnern, was ich gesagt hatte. Hatte ich das wirklich gesagt? Doch es gibt eine Art Stille, die nur wir Kantigen hören. Es handelt sich um Sekunden, und diese Sekunden sind wie Flutlicht. Die Gesichter verschwimmen ineinander. Ich versuchte die Gabeln zu zählen. Das Besteck blendete mich. Dann konnte ich wieder sehen. Wie lange war ich fort gewesen? Aber es konnte nicht lange gewesen sein, denn der hässliche, schreckliche Küchenchef, der das Menü nicht in Reih und Glied halten konnte, sollte beklatscht werden. Doch bevor es dazu kam, stand Notto Fipp auf und lenkte die Aufmerksamkeit auf sich und damit fort von mir. Ungläubig wendeten sich die Gäste ihm zu. War noch mehr zu erwarten?
    Notto Fipp sprach.
    »Für alle, die verliebt gewesen sind. Und für alle, die verliebt sind. Für Bernhard und Sigrid, Sigrid und Bernhard. Ich bin kein Mann großer Worte wie Bernhard, der uns in spitzfindigen Redewendungen mitreißt, weil das Verliebtsein ihm direkt in den Kopf gestiegen und dort geblieben ist. Ich bin nur ein einfacher

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