Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman
Stelle zu lassen.
Alle standen auf, um uns zuzuprosten, alle bis auf Sigrid und mich. Und als sie sich alle wieder hinsetzten, blieb mein Mentor, mein Ersatzvater, stehen. Er sagte:
»Eines sollst du wissen, Bernhard, ich habe große Pläne mit dir.«
Und vielleicht war es das, was mich wirklich nervös machte. Welche Pläne, noch dazu große, hatte er? Ich musste immer mehr Wein schlucken und schlucken. Ich fror im Mund und fing an, mit den Zähnen zu knirschen, um wieder warm zu werden. Überraschungen sind nicht unsere starke Seite. Überraschungen sind meistens nur ein verdeckter Angriff aus dem Hinterhalt. Die anderen klatschten und riefen Hurra, seine Worte fielen auf fruchtbaren Boden, große Pläne, besonders mein Schwiegervater war zufrieden, und nicht zuletzt Sigrid. Ihre Hand unter dem Tisch gab einen klaren Bescheid. Alma schaute schnell zu mir herüber, ja, hinunter, die Tafel neigte sich, und sie saß ganz oben auf der gegenüberliegenden Seite. Sie hatte zugenommen, war aufgequollen, ihr Gesicht trug andere Farben. Ich hob ein neues Glas, prostete ihr zu, bevor wir endgültig auseinandergingen, das war alles.
Dann: gesalzene Ochsenzunge, Truthahn, Erbsen, Blumenkohl, Elchsteak. Ich kam mit dem Menü durcheinander, wie der betrunkene Sprücheklopfer mit der Rednerliste durcheinandergekommen war. Ich schaute auf Notto und sah zu meiner Verwunderung oder eher zu meinem Schrecken, dass sein Teller leer war. Sigrid, offenbar weichgeworden durch die Rede und die Lobpreisungen von Direktor Lund, lehnte sich an mich.
»Ich habe Tora überreden können, Notto zu helfen«, flüsterte sie.
Und Tora, die trotz Enttäuschung und unglücklicher Liebe nicht auf den Kopf gefallen war, hatte ihren Teller mit Nottos getauscht. Sie nahm seinen vollen, er ihren leeren. Ich erfreute mich wieder an der Menschheit. Und ich liebte Sigrid mehr als je zuvor. Sie war nicht länger meine Harpyie, sie war meine Blume, meine Reseda.
Und Tora stand ohne Vorwarnung auf und zeigte auf mich, den Bräutigam.
»Das sage ich dir, Bernhard, wenn du Sigrid nicht glücklich machst, dann prügle ich dich ganz einfach tot!«
»Ich verspreche es!«, rief ich.
Jubel und Getrampel.
So sollten Reden gehalten werden.
Und ich zog im Stillen alles, was ich über sie gedacht hatte, in meine innersten Tiefen zurück und hob das Glas, um anzustoßen, unter uns Vieren, dem Brautpaar und den Trauzeugen, wir konnten ein herrliches Kleeblatt werden, doch in dem Moment wurde ich wieder vom Sprücheklopfer unterbrochen, der gegen sein Glas schlug und sich vom Elch erhob, oder war es der Truthahn? Und da wurde mir klar, dass er die Rednerliste nicht umgedreht hatte, weil er betrunken war, es war die reine Bosheit gewesen, er hatte nichts mehr zu verlieren, er hatte bereits Sigrid verloren, er war bereits das tumbe, prächtige und schwarze Schaf, mit leerem Büro, Barschrank und Portefeuille. Ich empfand trotzdem eine gewisse Sympathie für ihn, obwohl jetzt alles schiefzugehen schien.
»Wie wir gerade gehört haben, ist es keine einfache Geschichte, die Bernhard Hval zu tragen hat. Aber wie wir auch gehört haben, so hat er sie mit Würde getragen. Er wurde, wie alle wissen, der Beste seines Jahrgangs. Es ist ihm eine große Zukunft versprochen worden. Leider kann ich nicht behaupten, dass ich ihn kenne, doch dazu werden wir noch Zeit haben, aber sein Trauzeuge weiß sicher mehr. Es tut mir leid. Wie war noch sein Name?«
Der Sprücheklopfer schaute in seine Papiere, ein Stapel Papier, der unordentlich auf dem Tisch lag. Ich bekam Panik. Ich dachte, Notto hätte bereits seine Pflicht erfüllt. Das war unerhört. Das war ein Bruch der Sitten und Gebräuche. Ich stand unter Feuer.
»Notto Fipp!«, rief der Sprücheklopfer. »Notto Fipp! Wer kann so einen festlichen Namen nur vergessen? Auf ihn werde ich noch zurückkommen. Aber jetzt geht es um die Hauptperson selbst, Bernhard Hval, und ich weiß übrigens noch mehr über ihn, nämlich, dass er sich als ein Redner einen ausgezeichneten Ruf gemacht hat.«
Der Cousin, der Sprücheklopfer, legte die Papiere zwischen die Gläser und sagte ganz einfach: »Wir warten alle gespannt auf die Rede des Bräutigams. Du hast das Wort, Bernhard Hval!«
Ich stand auf, in einem Zustand der Asphyxie, mit anderen Worten, der Lähmung, des vollständigen Aussetzens der Atemzüge, ich war mehr tot als lebendig. Wie lange blieb ich so stehen? Ich weiß es nicht. Und es kann auch niemand berichten, denn alle, die
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