Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman

Titel: Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
Vom Netzwerk:
Junggeselle mit Spickzettel in der Flügeljacke. Und wundert euch nicht über den Mädchennamen. Und das sage ich zum Schluss, bevor ich weiterrede, denn Bernhard hat mich gebeten, direkt vom Herzen her zu reden: Verzettelt euch nicht in der Liebe!«
    Der Sprücheklopfer, dieses Schwein, versuchte es mit einem Lachen, wurde aber von seiner Tischdame sofort zum Schweigen gebracht, einer älteren Tante, mit der er sich hatte begnügen müssen.
    Notto Fipp zog ein zerknittertes Papier hervor, strich es glatt und hielt es in beiden Händen, und Sigrid ergriff meine Hand unter dem Tisch und drückte sie fest, während er las:
    MEIN SCHATZ
    Ich denke an dich, kleine Gro
    eines Tages, da reisen wir, ich und du
    leben so weit, weit fort von hier
    niemand kennt dann unseren geheimen Platz
    mein Schatz
    Doch hoch ins Gebirge gehen wir, ich und du
    denn dort bau’n wir ein Häuschen in aller Ruh
    wo die Vögel singen, hör ihnen nur zu
    ja, dort ist unser Platz
    mein Schatz
    Und sollte die Hütte nicht mein werden dort
    dann mache ich mich auf, wandere fort
    als Seemann, als Goldgräber
    voll Ruhm und Ehr
    bis nach Klondyke – weiter geht es nicht mehr!
    Dort treffen wir uns wieder, küssen uns an diesem Platz
    mein Schatz!
    Dann schwieg Notto Fipp, faltete sorgfältig den Bogen zusammen und schob ihn wieder in die Westentasche, aber es dauerte nicht lange, dann erhoben sich alle, und sie applaudierten nicht nur, sie jubelten und stießen mit ihm an. Endlich war sein Gedicht von Nutzen gewesen, das Gedicht, das er vor mehr als dreißig Jahren geschrieben hatte, für sie, die es vielleicht nicht mehr gab, und auch Notto Fipp selbst erschien unwirklich, wie er da stand und an seinem zotteligen Bart zupfte, Notto Fipp, mein rettender Engel, der mich in den Schatten gestellt hatte, und deshalb konnte ich stehen bleiben, als die anderen sich setzten, wie ein tabula rasa, und bekam das letzte Wort. Ich sagte:
    »Es ist wohl unnötig zu erklären, warum ich ausgerechnet Notto Fipp als meinen besten, ich wiederhole, meinen besten Mann an diesem glücklichsten Tag in meinem Leben ausgesucht habe. Denn ihr habt gehört, worauf er abzielt, nämlich auf das Herz. Und das Herz ist ein logischer, sonderbarer Muskel, den wir nicht entbehren können. Denn die Arbeit des Herzens in Systolen und Diastolen verträgt keine Unterbrechung, sie währt vom ersten Tag der fötalen Zelle bis zum Tod, der irgendwann unweigerlich eintritt. Deshalb ist das Herz das Bild für ein Versprechen, das wir gegeben haben, nämlich die Treue, aus der die Liebe selbst besteht.«
    Ich warf einen Blick in die Tafelrunde. Viele Servietten wurden jetzt an die Augenwinkel gedrückt. Die Kellner standen in Habacht, die Hände auf dem Rücken. Ich legte meine Hand Sigrid ganz schlicht auf die Schulter.
    »Außerdem habe ich eine große Neuigkeit zu verkünden.«
    Es wurde augenblicklich still.
    »Eine große Neuigkeit«, wiederholte ich. »Sigrid und ich haben beschlossen, unsere Hochzeitsreise zu verschieben, weil ich bereits morgen früh meinen Trauzeugen, Notto Fipp, nach Kristiansand begleiten werde, von wo aus er eine Tat vollbringen wird, die im ganzen Land Ruhm und Lobpreisung erhalten wird.«
    Tutti frutti!
    Die Hochzeitstorte wurde hereingetragen, und Sigrid und ich trennten das erste Stück mit einer Säge heraus, wie es sich in so einer Familie gehört. Der Rest steht mir nur unklar vor Augen und ist auch nicht weiter von Bedeutung, wenn man alles bedenkt, ein Gabentisch, mit größtenteils unnützen, schrillen Geschenken, ich, der Sigrid auf den Tanzboden führte, während alle herumstanden und uns zuprosteten, Tora, die Notto Fipp wie einen Spinnaker mit Armeslänge Abstand führte, und später wurden die Gäste von Chauffeuren, die seit Mitternacht bereitstanden, nach Hause gefahren. Ich erinnere mich nur noch, dass Direktor Lund leise zu mir sprach, zum ersten Mal im Laufe des Abends, er ergriff sogar meinen Arm dabei. Ich dachte, er wollte mir zu allem gratulieren. Doch stattdessen fragte er:
    »Hast du wieder angefangen, zu trinken?«
    »Nemo saltat sobrius«, antwortete ich.
    Tora übernachtete im Gästezimmer, und Notto Fipp schlief in der Pförtnerwohnung, während ich auf Sigrid im Bett in ihrem Schlafzimmer lag, oh, ich will dich tief in den Gabbro meißeln, und wenn ich fertig gemeißelt habe, dann werde ich dein Phantasus sein und dir deine Träume erfüllen, die du noch gar nicht geträumt haben kannst, du Schwester von Morpheus. Ja! Ich atmete

Weitere Kostenlose Bücher