Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman

Titel: Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
Vom Netzwerk:
allemal gesagt sein! Er war der Beste von allen. Er war zu gutmütig und zu bescheiden, um seinen Triumph auf Kosten anderer auszunutzen, während ich im Gegenteil kleinlich und erbärmlich genug war, darum bemüht zu sein, meine Schäfchen ins Trockene zu bringen und dem Publikum und meinen Vorgesetzten zu schmeicheln. Ich war nichts anderes als ein simpler Scaramouche, leider nicht in einer Komödie, sondern in der Tragödie eines anderen.
    Wir standen auf und sagten nichts mehr. Es war genug gesagt worden. Unsere Wege trennten sich. Aber wir wussten, dass sie sich früher oder später wieder kreuzen würden. Womit wir recht behalten sollten. Es sollte gar nicht mehr so lange dauern bis dahin.

EINE HOCHZEITSREISE
    Wir nahmen die Kronprinz Olav, die neue Dänemarkfähre, nach Kopenhagen und dann den Zug nach Paris. Ich erkannte einiges von der Landschaft wieder aus der Zeit, als ich mit meiner Mutter nach Wörishofen gefahren war, um im Wasser herumzulaufen. Es muss in Norddeutschland gewesen sein, eine Windmühle auf einem mageren Acker, es war, als stünde meine Kindheit dort still, genau dort, in dem zerbrochenen Rad. Bis zu diesem Zeitpunkt war mir nie eingefallen, dass ich meine Mutter vermissen könnte. Ich versank in einem Meer von Zeit. Ich sank träumend in den weichen Samtsitz der Eisenbahn und knirschte mit den Zähnen, fest und sorgfältig schliff ich sie ab, besonders die Backenzähne. Sigrid ging es übrigens nicht gut. Sie hatte ihre monatlichen Beschwerden und schlief, eingehüllt in Decken und Tücher. Ich saß da und betrachtete sie, das kräftige reine Gesicht, das der Schlaf weich und blass machte, fast schön, trotz allem. Die kleine Pille, die sie genommen hatte, half. Was bedeutet es, verliebt zu sein, rein fachlich gesehen? Und bitte kommt mir nicht mit Herzklopfen und Sehnsüchten. Das reicht leider nicht. Das läuft unter der Bezeichnung Leidenschaft, und Leidenschaft ist wechselhaft wie Wind und Wetter und Politik. Leidenschaft ist etwas für die guten Tage, Verliebtsein für die schlechten. Und Liebe, bei ihr muss man Zuflucht suchen, wenn die Ehe den Polarkreis passiert hat und der Frost Wurzeln schlägt. Sei still, Bernhard Hval, du Hexendoktor! Du hast mehr Leichen geöffnet, als du Bekannte hast, und jetzt näherst du dich der Achtzig, das ist ein langes Leben, und die meiste Zeit musst du sehr einsam gewesen sein. Du hast jeden Winkel und Kringel der menschlichen Leiber studiert und nie den Sitz der Liebe gefunden. Am nächsten bist du der Verdauung gekommen, denn alle Mörder und alle Verliebten weisen Unregelmäßigkeiten in Magenbeutel und Darm auf, und da die Verdauung im Mund beginnt und in der Analöffnung endet, kann man den Schluss ziehen, dass das Verliebtsein seinen Sitz von den Lippen bis zu den Schließmuskeln hat, sich wie eine Schnur von Gefühlen durch den ganzen Körper zieht. Oder bedeutet Verliebtsein ganz einfach, dass man bereit ist, sich zu opfern, voll und ganz für einen anderen Menschen? Nicht ganz wahrscheinlich, denn dann könnte man genauso gut verliebt sein in einen Bruder, eine Schwester, einen Freund, einen Notto Fipp. Ich vermisste ihn. Ich vermisste Notto Fipp. Was machte er jetzt? Passte er auch gut genug auf sich auf? Ich hätte bei ihm bleiben sollen. Fatum diabolo! Ich lehnte die Stirn an das Fenster und zitterte und schnaubte. Sigrid drehte sich im Schlaf. Wenn meine Mutter ihre Periode hatte, kam es vor, wie ich später feststellte, dass sie sich nackt auszog, ganz gleich, zu welcher Jahreszeit, und im Garten herumlief, um auf diese Art und Weise ein Unwetter abzuwehren, Stürme zu verhindern und die Erde fruchtbar zu machen. Was Vater natürlich nicht zulassen konnte, wenn es ganz schlimm war, musste er sie einsperren. Lange glaubte ich, Mutter hätte diese Macken von dem Naturburschen Kneipp, bis ich beim Lateinstudium erfuhr, dass dieser Aberglaube schon viel älter ist. Sie hatte das von dem römischen Schriftsteller Plinius, der dieses Verhalten besessener Frauen beschreibt, wo immer sie es auch her haben mochte, jedenfalls nicht aus Vaters Bücherregalen. Ebenso schlimm konnte es übrigens während der sogenannten Monatswelle sein, genau zwischen den Perioden, am dreizehnten Tag, wenn die Körpertemperatur der Frau ansteigt, so wie sie sinkt, wenn sich das Blut löst. Darauf ist Rücksicht zu nehmen. Dann färbte sie das Haus von Besserud blau, zog die Vorhänge vor, zerbrach einige Spiegel und holte das Winterzeug vom Dachboden, ganz

Weitere Kostenlose Bücher