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Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman

Titel: Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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fertig. So viel kann ich sagen, ohne selbstmitleidig zu wirken, diese achte Todessünde, dass es kurz und gut eine Schufterei war. Und damit übertreibe ich nicht. Für uns gibt es nicht den Augenblick. Denn im selben Augenblick ist er schon vorbei.
    Sigrid gab mir einen Kuss in den Nacken.
    »Du bist so viel klüger als ich«, flüsterte sie.
    »Ich habe nur mehr Champagner getrunken.«
    Wir stießen an und genossen die Aussicht, auch wenn es zu dunkel war, um etwas anderes erkennen zu können als die künstlichen Lichter. Aber dieses Gerede von einem Kind quälte mich nicht nur, es versetzte mich in Panik, es machte mich sentimental und garstig. Ein Kind zu machen, das mir ähnlich wäre, das war ganz einfach unerträglich. Ich konnte es gutheißen, dass unglückliche Eigenschaften ein Glied in der Kette überspringen, um dann in der nächsten Generation nur noch stärker zurückzukommen. Konnte ich das Risiko eingehen? Gibt es nicht bereits jetzt genug von uns? Wenn wir uns bis ins Unendliche reproduzieren, wird es bald auf der Erde keine Ellenbogenfreiheit mehr für uns geben. Wir müssen unsere Grenzen erkennen. Unsere Grenzen erfordern nämlich ungewöhnlich viel Platz.
    Das hätte ich sagen sollen. Das hätte ich Sigrid erklären sollen, die ja im Grunde genommen ein redlicher Mensch war, und ich hätte es tun sollen, bevor wir einander gute und schlechte Tage versprachen. Das Schlechte würde kommen. Das Gute müssten wir hüten. Auf diese Art hätte sie ihre Entscheidung auf der Basis fachlicher und vernünftiger Abwägungen treffen können und nicht auf der kaum zuverlässigen Grundlage flüchtiger Gefühle.
    Quousque tandem!
    Ich schloss das Fenster und öffnete gleichzeitig einer sonderbaren Stille.
    »Weinst du?«, fragte Sigrid.
    »Nein, wieso?«
    »Lass sehen.«
    »Ich weine nicht.«
    Sie drehte mich um und legte mir einen Finger auf die Wange, während ich zu Boden schaute. Sie trocknete meine Tränen und sog sie auf.
    »Warum weinst du, Bernhard?«
    »Weil ich glücklich bin.«
    »Ich auch, Bernhard.«
    Eine Hochzeitsreise soll man für sich behalten.
    Ich empfinde es als unnötig, zu viel zu verraten, und ich habe auch gar nichts zu verraten, abgesehen davon, dass ich mir das Kinn nicht mehr rasierte, mit dem Ziel, mir einen Spitzbart im Geiste Notto Fipps anzuschaffen. Die ganze Zeit wartete ich, dass Sigrid das kommentieren und mich bitten würde, sorgfältiger mit dem Messer zu sein, doch ein derartiger Kommentar ließ auf sich warten. Ihr waren meine neuen Gesichtszüge anscheinend noch gar nicht aufgefallen. Stattdessen wurde ich von einem neuen Drang übermannt. Ich konnte nicht anders, ich musste mich am Kinn zupfen. Aber da war nichts, um darin zu zupfen, bis auf das Kinn. Es war glatt wie Glas. Kam dort nicht bald ein Bart? War mein Kinn verdorrt? Ich zog an ihm, bis mein Mund schief war. Das wiederum bemerkte Sigrid. Zuerst glaubte sie, ich wäre nachdenklich, und fragte, was mir solche Sorgen bereitete. Ich log auf eine höchst ehrliche Art und Weise: Direktor Lunds große Pläne, antwortete ich. Mein dummer Donkischott, sagte Sigrid und küsste mich aufs Kinn. Du sollst dich freuen, nicht sorgen! Donkischott! Wollte sie jetzt auch noch anfangen, mir Kosenamen zu geben? Das konnte nicht gut gehen. Es reichte, dass ich ihr Namen gab. Wenn wir beide das taten, würde das Spiel kaputtgehen. Doch dann küsste Sigrid mein Kinn nicht mehr und sagte, wenn ich vorhätte, mich in Grund und Boden zu sorgen, dann könnte ich bitte schön gleich auf der Chaiselongue schlafen und mir dort das Kinn abreißen. Ansonsten nahmen wir das Frühstück meistens auf dem Zimmer ein, anschließend spazierten wir die Promenade des Anglais entlang, tranken eine Tasse englischen Tee im Grand Pomel, aßen zu Mittag und Abend im Hotel, promenierten nach dem Cognac Arm in Arm und gingen früh zu Bett, meistens vor zehn Uhr. Die besondere Luft machte uns beide auf angenehme Weise müde. Wir waren enthaltsam, was auf einer Hochzeitsreise vielleicht sonderbar erscheint, aber Sigrid meinte, wir sollten unsere Kräfte, das heißt meine Samen, sparen und keinen Blödsinn machen, bis die Zeit reif war. Aber es gibt dennoch einige Ereignisse, die ich erwähnen möchte, die nicht nur ihre Spuren hinterließen, sondern die auf ganz sonderbare Weise zusammenhingen, entgegen aller Vernunft, und da denke ich auch an meine eigene, schiefe, manches Mal spiegelverkehrte Vernunft, die offen ist für das meiste und geschlossen für das

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