Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman
Rezeption, in die alle, die wollen, in aller Vertraulichkeit etwas legen können. Und dann sollen sie sich doch nach Arbeitsschluss um die Verteilung prügeln. Als wir endlich in Ruhe gelassen wurden, konnten wir mit dem beginnen, was man auf einer Hochzeitsreise so tun soll, besonders am ersten Tag, also mit der einfachen, reinen Leidenschaft. Wir gingen aufeinander los, obwohl ich eigentlich lieber vorher ein Bad genommen hätte, aber wir waren ja nun einmal auf der Hochzeitsreise. Da gehörte es sich so. Ich löste ihre Binden und nannte sie meine Huri Huri, aber das hatte sie schon früher gehört. Ich nannte sie meinen kleinen Syphong, meine Vulgivaga und rief, lass mich der Untertan sein in deiner herrlichen Gynäkokratie! Sigrid verstand nicht ein Wort, aber das, was wir durchführten, war nicht unangenehm, nur etwas zu glatt, etwas Blut auf dem Laken, das Ganze dauerte eine halbe Minute. Sigrid eilte ins Bad. Ich zog mir einen Morgenmantel an, schenkte uns beiden Champagner ein und blieb in dem privaten Salon am Fenster stehen. Die Dunkelheit setzte abrupt ein. Das Blau ging über in Schwarz, nur gebrochen, fast aufgelöst von den Straßenlaternen, Scheinwerfern auf schneller Fahrt, den leuchtenden Einladungen der Restaurants, Sternen, die so tief hingen, dass man glauben konnte, sie trieben im Mittelmeer selbst, einer Zigarette, die angezündet wurde, von jemandem, der immer noch die Promenade des Anglais entlanglief. Ich öffnete das Fenster und lauschte den Geräuschen, an erster Stelle natürlich dem Meer, einem Rhythmus, der mich gleichzeitig beruhigte und ängstigte, monoton, damit kann ich leben, aber ewig, was kann furchteinflößender sein als die Ewigkeit? Nein, die Ewigkeit, rein fachlich gesehen, ist kein Trost, ganz im Gegenteil. Die Musik machte indes mehr her, Akkordeon, Klarinetten, Jazz, Schuhe, Gelächter, Autos, oder diese Motorräder, die an jeder Ecke Gas gaben, all dieses Flüchtige, das für einen Augenblick das weiche Pendel der Ewigkeit übertönen kann. Ich wurde von all dem verführt. Und dabei habe ich noch gar nicht die Palmen erwähnt. Die Palmen sind das Gegenteil von Fichten. Während die Palme ihre Zweige jubelnd in die Lüfte hebt, steht die norwegische Fichte mürrisch mit den Armen dicht am Leibe da. Plötzlich vermisste ich Notto Fipp. Ich wünschte, er hätte das sehen können, was ich sah, das hören, was ich hörte. In dem Moment stand Sigrid hinter mir.
»Findest du mich eklig?«
»Eklig? Wie meinst du das?«
»Das Blut. Findest du, das war eklig?«
Sie umarmte mich.
»Ich bin Arzt, Sigrid. Ich weiß alles darüber.«
Sie lockerte sofort ihren Griff und nahm stattdessen die Flasche hoch.
»Ich frage dich nicht als Arzt! Ich frage dich als meinen Mann! Ich bin nicht deine Patientin! War es eklig?«
Natürlich wurde ich verlegen. Sigrid war auch verlegen. Das gefiel mir. Das machte uns echt, authentisch. Wir fühlten etwas. Nur wer dem anderen wirklich nahesteht, kann auf diese Art und Weise verlegen werden. Wir waren verlegen. Wir standen einander nahe.
»Findest du, es war eklig?«, fragte ich.
»Ich habe zuerst gefragt.«
»Nichts an dir ist eklig, Sigrid. Komm her. Schnell.«
Und sie kam.
Der Mond stand wie eine Säule in dem schwarzen Wasser zwischen Laternen und Lachen.
Wir stießen miteinander an.
»In zwei Wochen machen wir ein Kind, Bernhard.«
»Was sagst du? Ein Kind in zwei Wochen?«
Sigrid lachte, wie sie es immer tat, wenn sie fand, dass ich rettungslos dumm war und überhaupt nichts kapierte.
»Ich denke, du bist Arzt? Kannst du dann nicht bei mir Temperatur nehmen und mich vollspritzen, wenn sie am höchsten ist?«
Die Monatswelle.
Ich sah sie vor mir: größer und heftiger als die Brandung des Mittelmeers. Sie würde höchstwahrscheinlich unsere Suite überspülen und uns beide zu ertränken drohen, besonders mich, auf die schmerzhafteste Art, wenn ich nicht bald Hilfe fand und sie energisch und umgehend zähmte.
»Doch, ja«, sagte ich.
»Das klang aber begeistert.«
»Liebe Sigrid, es gibt dabei so viel zu bedenken. Lass uns lieber den Moment genießen.«
Welche Worte! Und sie kamen aus meinem eigenen Mund! Genieße diesen Augenblick! Habt ihr das gehört! Ich, der nur überleben kann, wenn er vorn liegt, einen Schritt, zwei Schritt, ja, unser Leben, das Leben der Kantigen, beruht auf gewissenhafter Planung. Wir brauchen zwei Kalender für jedes Jahr. Heute durchschreiten wir bereits das Morgen. Morgen ist die nächste Woche
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