Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman
Luft am längsten anhielt, bis ich kurz davor war, auf der Tribüne in Ohnmacht zu fallen, als Axel Paulsen endlich ins Ziel kam, mit dem Rücken voran, nach fünftausend Metern. Jetzt war ich an der Reihe. Ich hätte am liebsten den nächsten Schlag ebenso rückwärts geschlagen, Scheiben, Flaschen, Fenster, Glas und Brillen zerschlagen. Ich hätte sogar Träume zerschlagen können. Ich hätte zuschlagen können, nicht ins Gesicht, sondern in den Nacken. Aber es gelang mir, mich zu zügeln, auch wenn es mir schwerfiel, mit einer Disziplin, die ich insgeheim mit Notto Fipps Beherrschung verglich. Ich war an dem Punkt angelangt, den man Siedepunkt nennt. Ich hielt es bald nicht mehr aus. Endlich schlug Siggen mich, wenn auch nicht bis tief in die Stiefel, so doch ausreichend, um zu gewinnen, und das war gerade ausreichend genug, nämlich ein disziplinierter Sieg und eine nüchterne Niederlage. Was mehr kann man eigentlich von einem edlen Wettstreit verlangen?
Uns wurden Getränke serviert, und wir prosteten den anderen Gästen zu, das war gar nicht zu vermeiden, Deutschen, Engländern, Schweizern, Italienern, ein paar Russen im Exil, und alle wollten sie etwas über Norwegen hören, über das Königshaus, das Klima und besonders diese Art von Golf, ob das ein Nationalsport war?
»In Norwegen findet das meiste in den eigenen vier Wänden statt«, sagte ich.
Bernhard Hval, weltgewandt und schlagfertig in den meisten Sprachen.
Der Lunch, der berühmte Salade Niçoise, mit reichlich Thunfisch, Eiern, Anschovis, Oliven und genauso reichlichen Mengen an Weißwein, war dann trotzdem nicht besonders erfolgreich, ganz im Gegenteil, es war schlimmer als am Tag zuvor, obwohl doch Siggen den Sieg davongetragen hatte und wir draußen auf der Terrasse saßen, mit einer Decke über den Beinen, und die weiche Luft genießen konnten, die fast an einen nordischen Sommer erinnerte, abgesehen von diesem speziellen Licht und dem langsamen blauen Rhythmus des Mittelmeeres.
Siggens beleidigte Schnute und Bernys Lächeln, das passte nicht zusammen.
Sie rührte kaum ihr Essen an.
»Was ist denn?«, fragte ich.
»Das weißt du ganz genau.«
»Nein, das weiß ich nicht. Du hast doch gewonnen.«
Sie ließ ihr Besteck fallen.
»Du hast mich gewinnen lassen! Glaubst du, ich bin so dumm? Ja?«
»Aber das habe ich doch gar nicht! Das war ein faires Spiel.«
»Gib es ruhig zu! Alle haben gesehen, was du gemacht hast. Du hast mich gedemütigt!«
»Aber meine liebe Siggen …«
»Nenn mich nicht Siggen! Ich heiße Sigrid!«
Ich holte tief Luft und hatte große Probleme, Arme und Mund ruhig zu halten. Einen Moment lang, nur einen kurzen Moment, musste ich mein Kinn reiben.
»Du hast heute gewonnen. Ich das letzte Mal. Damit sind wir quitt, nicht wahr?«
Sigrid stand auf.
»Ich gehe hoch aufs Zimmer. Du kannst ja machen, was du willst.«
Sie ging.
Ich wollte nicht machen, was ich wollte. Wenn ich mache, was ich will, dann bin ich verloren.
Du gütiger garçon! Garçon tant mieux!
Der Kellner war sofort an Ort und Stelle, er räumte den Tisch ab, ließ die Flasche aber noch stehen, verbeugte sich ungewöhnlich tief und sagte Bonne journée, Monsieur Haut en Bas. Er musste mich mit einem anderen Gast verwechseln. Ich war nicht Monsieur Haut en Bas. Aber damit konnte ich leben und ließ den Kellner in dem Glauben, dass ich nicht ich war. Ich schätzte es sowieso sehr, verwechselt zu werden. Denn ich wusste, dass es bald aus mir herausbrechen würde. Und dann würde mir eine Verwechslung nur recht sein. Ich war lange genug gezähmt gewesen.
Ich blieb sitzen, trank den Rest des Weines, ein schöner Moment, solange er währte.
Lasst mich zunächst die Sonne, die Brandung, die Farben, den Tabak, die Sonnenschirme preisen, die Aschenbecher, die Koffer, die Diener, die Rufe vom Markt in der Altstadt und die Stimmen, die der Wind auf seinen Schultern von den flachen blauen Fischerbooten draußen in der Bucht hereintrug. Lasst mich auch die Schoßhunde und ihre schwarzgekleideten Frauchen preisen, die Radfahrer, die letzten Pferde, die schiefe Kutschen zwischen den Automobilen hindurchzogen, und lasst mich schließlich die Dreisten preisen wie auch die dummdreisten Matrosen auf Landgang, in ihren breiten, viereckigen Hemden und den engen weißen Hosen mit dem breiten Schlag um die Knöchel. Zeit, zu gehen. Außen hui, innen pfui. Ich ließ ein großzügiges Wiedergutmachungsgeschenk auf dem Tisch liegen, vielleicht zu viel, nur um
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