Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman

zog an seinem Mantel, er versuchte loszukommen. Offenbar wollte er ins Casino, während sie ihn ganz entschieden daran zu hindern versuchte. Sie gaben ein lächerliches Bild ab. Einen Moment lang fürchtete ich, er würde sie mit dem Stock verprügeln. Jetzt waren sie an der Reihe, sich zu blamieren. Aber nichtsdestotrotz wollte ich möglichst nicht wiedererkannt werden.
    »Wer ist das?«
    »Aber das ist doch Hamsun. Knut Hamsun! Der Schriftsteller!«
    »Ich weiß, dass Knut Hamsun ein Schriftsteller ist, Sigrid.«
    Ich blieb ganz ruhig stehen. Doch dann musste ich mit den Füßen aufstampfen, die Arme heben und schnauben, alles in einem Atemzug. Jetzt erkannte ich ihn auch. Das war also der Nobelpreisträger für Literatur, der mich einen widerlichen Hundsfott genannt hatte. Diese Pharaoratte!
    Sigrid wurde ganz eifrig, auch wenn ich nicht glaube, dass sie etwas von Hamsuns Werken gelesen hatte, vielleicht höchstens ein oder zwei Kapitel in dem Rührstück Victoria.
    »Wir fragen nach einem Autogramm«, sagte sie.
    »Das halte ich für keine gute Idee.«
    »Warum nicht? Wenn wir die Gelegenheit haben?«
    »Siehst du nicht, dass sie sich streiten?«
    »Sich streiten? Quatsch. Die diskutieren doch nur.«
    War ich derjenige, der den Auftritt falsch interpretierte? War ich derjenige, der eine unkorrekte Diagnose ablieferte? War es etwa nicht so, dass Marie, die Gattin, an Knut himself zerrte, während er ebenso heftig in die andere Richtung zog und mit dem Stock focht? Waren sie nur unschlüssig darüber, wie viel sie auf die Würfel setzen sollten, auf das Grün, die Tische, den Kreis der Chancen? Sah ich dort Krebs, wo es nur eine gewöhnliche Erkältung gab? Aber leider kann ich nichts anderes bestätigen, als dass ich fest der Überzeugung war, einen unmöglichen Konflikt zu sehen, in dem nur eine der Parteien recht hatte, also ein Sein oder Nichtsein. Ich konnte mich darin wiedererkennen. Das war das Schlimmste.
    »Was glaubst du, warum ist Hamsun nach Nizza gereist?«, fragte ich.
    »Um zu schreiben. Spielen. Trinken. Bücher vorstellen. Wieso?«
    »Um seine Ruhe zu haben, Sigrid. Lass den Mann um Gottes willen seine Ruhe haben.«
    »Hast du einen Stift?«
    Ich gab Sigrid einen Stift, und sie ging zu Knut und Marie Hamsun, während ich die Augen schloss, ihnen den Rücken zukehrte und spürte, wie die blauen Winde des Mittelmeers direkt durch mich hindurchzogen, als wäre ich nur ein Skelett in einem dünnen, verwaschenen Smoking. Wenn dem doch nur so gewesen wäre, ach, wenn es doch nur so gewesen wäre. Die schlanken Fischerboote waren bereits auf dem Weg zurück vom Schlachtfeld und lagen tief im Wasser. Plötzlich kamen scharfe Wellen auf, Wind und Meer wechselten die Farbe, wurden fast schwarz. Das ging im Laufe eines Augenblicks wieder vorüber. Es war der Herbst, der die Reste des Sommers einholte, und sich zeigte.
    Dann hörte ich Sigrid, die im Hintergrund rief, nein, schrie.
    »Bernhard! Komm, Bernhard!«
    Ich konnte nicht anders, ich musste mich umdrehen. Und da sah ich Knut Hamsun auf dem roten Läufer liegen, mit seiner Frau an der Seite und Sigrid daneben, während Zuschauer, Wachleute und Bedienstete herbeieilten. Lasst ihn dort doch nur liegen und krepieren, dann gibt es einen Zeugen weniger auf der Welt. So dachte ich. Aber ich stand in höheren Diensten, ich hatte einen Eid abgelegt, ich war einer Pflicht unterworfen. Als Sigrid zum zweiten Mal rief, lief ich zu ihnen.
    »Ich bin Arzt!«, sagte ich, entschieden und bestimmt, in so vielen Sprachen, wie ich nur konnte.
    Und die Neugierigen wichen zur Seite und ließen mich durch, oder aber ich schob sie beiseite, diese dummdreisten, unnützen Wesen, die sicher heimlich darauf wetteten, ob der Mann überleben oder sterben würde. Schließlich konnte ich mich neben Knut Hamsun knien, knöpfte ihm den Mantel auf, riss ihm die Schleife von der Kehle und öffnete sein Hemd. Da erkannte er mich und schlug meine Hand weg.
    »Fass mich nicht an!«, zischte er.
    »Ich bin Arzt. Der Beste meines Jahrgangs.«
    »Das ist mir scheißegal.«
    »Bleiben Sie ganz ruhig liegen. Haben Sie irgendwelche Schmerzen?«
    »Was glauben Sie denn, warum ich hier liege? Der Beste Ihres Jahrgangs? Dass ich nicht lache!«
    Ich glaube, er spielte Theater, wie ein verwöhntes Kind. Er machte uns einfach etwas vor, weil er seinen Willen nicht bekommen hatte. Ich maß seinen Puls, der war etwas hoch, aber nicht mehr als normal unter derartigen Umständen. Marie Hamsun wollte sich