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Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman

Titel: Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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quetschte durch meine Finger. Ich erinnerte mich an die Worte meines Vaters im Garten von Besserud: Woher weißt du, dass ein Apfel verrottet ist, Bernhard? Das war ich, Bernhard Hval, ich war eine verdorbene Frucht, Fallobst, ein mauvais sujet. War es vielleicht das, was Vater hatte sagen wollen? Der Mann am Stand, ein sonnengebräunter Obstbauer mit weißer Stirn, sah mich an, verwundert, er suchte nach etwas, und schließlich reichte er mir einen anderen Pfirsich, einen frischen, schönen, wobei er nickte und etwas auf Französisch sagte, er wollte offensichtlich, dass ich den nähme. Ich nahm ihn. Er gab mir außerdem ein Tuch, an dem ich meine Hände abwischen konnte, doch als ich bezahlen wollte, schüttelte er den Kopf und weigerte sich, die Münzen entgegenzunehmen. So blieben wir eine Weile stehen, in umgekehrten Positionen, der Verkäufer feilschte, der Kunde wollte den Preis erhöhen. So konnten wir nicht bis in alle Ewigkeiten weitermachen. Wir erweckten Aufmerksamkeit und Spott. Ich hatte für diesen Tag bereits genug Aufmerksamkeit erregt. Deshalb bedankte ich mich und trug alle blauen Farben in Nizza mit mir zurück ins Westminster Hotel, dazu einen sanguinischen Pfirsich, den schönsten, der am Mittelmeer aufzutreiben war, ein Schmuckstück aus süßem Fleische, und dort fand ich Sigrid in deutlich besserer Laune vor, als ich sie verlassen hatte. Das konnte etwas mit all den Kartons zu tun haben, die in allen Zimmern auf dem Boden standen. L. Vuitton, Jurres, Chanel, die letzten Novitäten der Mode. Sie war also ausgegangen und hatte eingekauft, sorglos und verschwenderisch, während ich auf der Promenade und dem Markt für Skandale gesorgt hatte. Jetzt saß sie im Bad, vor dem Spiegel, nur in Unterwäsche, mit einer Flasche Champagner in Reichweite und machte sich fertig. Sie summte irgendeine Melodie, war das die französische Nationalhymne, ja, es war die Marseillaise, und wer summt bitte schön die Marseillaise beim Schminken? Sigrid tat es. Deshalb nahm ich an, dass sie größere Pläne für den Abend hatte. Zuerst glaubte ich, sie würde mich gar nicht bemerken, so beschäftigt war sie damit, ihr Äußeres zu verschönern, die Augenbrauen, die Lippen, die Frisur, während sie dabei Champagner trank und die Marseillaise interpretierte. Und sollte ich es noch nicht gesagt haben, so sage ich es jetzt ein für alle Mal: Sigrid brauchte genau genommen nicht einen Finger zu rühren, was das Aussehen betraf. Es änderte sowieso nichts. Sie war hell, symmetrisch, aus einem Guss. Vielleicht gibt es welche, die behaupten, dass sie eine Spur zu kräftig war, dass sie eine garçonne war. Aber gerade das zog mich an, die Muskeln und ihr Reiz, die eine höhere Einheit bildeten, die ich in meinen besten Momenten als Sigrids Antagonismus bezeichnete. Schön war sie nicht, und es würde auch niemandem einfallen, das von mir zu behaupten, dass Bernhard Hval schön war. Und während ich sie betrachtete, dachte ich, dass ich, wenn eine solche Frau meiner Person verfallen konnte, mir, einem mauvais sujet, einem widerlichen Hundsfott, dann musste sie mich mehr lieben, als ich jemals begreifen konnte. Dann kamen mir andere Gedanken. Sie übersah mich ganz einfach. Mehr war es nicht. Ich schlich mich zurück ins chambre à coucher und fiel aufs Bett, erschöpft, unglücklich und vollkommen unwissend hinsichtlich dessen, was da kommen würde. Aber wenn sie mich übersehen konnte, dann konnte ich sie ebenso gut übersehen.
    »Ich habe dir verziehen, Berny!«, rief sie.
    Ich wartete eine Weile mit meiner Antwort, oder besser gesagt mit meiner Frage. So leicht sollte sie mir nicht davonkommen.
    »Mir verziehen? Was denn, Siggen?«
    »Stell dich nicht so dumm. Dass du mich hast gewinnen lassen natürlich.«
    »Du hast gewonnen. Ich habe dich nicht gewinnen lassen.«
    »Doch. Und das war richtig galant von dir. Deshalb sei dir hiermit verziehen. Vorläufig.«
    »Vorläufig? Was meinst du damit?«
    »Nun, ich nehme an, es ist nicht das letzte Mal, dass ich dir verzeihen muss.«
    Sigrid kam ins Schlafzimmer und stellte sich in ihrer neuen Aufmachung ans Bettende: ein schwarzes, enges Oberteil und ein Rock, der ihr bis über die Knie reichte, flache Schuhe, auch sie schwarz, und ein weißer Hut, fast eine Kappe, schräg auf dem Kopf, so dass ihr Gesicht einen jungenartigen, koketten, schelmischen Ausdruck bekam. Sie drehte sich, damit ich es bemerkte, blieb dann stehen und sah mich ungeduldig an.
    »Wenn du nicht bald etwas

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