Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman
Fipp war seine bisher längste Tour gegangen, hatte sogar einen Rekord aufgestellt, während sein Freund, sein Weggefährte, Arzt, Vertrauter und späterer Biograph nicht dabei war und seine Flitterwochen in Luxus an der Riviera abhalten musste. Welche Leere! Welche Fallhöhe! Innerhalb einer einzigen heftigen Sekunde erschien mein Leben mir sinnlos, nicht mehr wert als irgendeine der Adiaphora, eine Art Tennis, ein Kinderschuh in einem Sahneeimer, meine Kargo in der Toilette. Ich musste so schnell wie möglich heim und aufräumen.
Der unsympathische, streitsüchtige Däne hatte offenbar bemerkt, was ich da in seiner Zeitung las, und zog seine Schlüsse daraus.
»Sie sind doch wohl kein Norweger?«, fragte er.
»Entschuldigung. Ich war nur neugierig.«
Ich schob ihm die Zeitung wieder hin. Er schob sie zu mir zurück.
»Wir haben etwas viel Besseres.«
Zuerst verstand ich nicht, was er sagte. Diese dänische Kartoffelsprache, diese verdammten Dannebrogvokale, die hinuntergeschluckt werden statt ausgespuckt, sie waren kaum zu begreifen. Man denke nur an König Haakon! Er hätte sich ein anderes Land für seinen Thron suchen sollen oder schweigen.
»Besser? Besser als diese Zeitung? Was sagen Sie da? Haben Sie noch mehr Zeitungen? Darf ich die sehen?«
Der Däne lachte.
»Ich kann hören und sehen, dass Sie ein Norweger sind. Und ich sage laut und deutlich, dass wir einen dänischen Wanderer haben, der besser ist als dieser Notto Fipp.«
Dieser Notto Fipp.
Ich war nicht mehr neidisch und beleidigt, sondern augenblicklich Notto Fipps internationaler Verteidiger und Redner. Das hier sah ich als eine persönliche Konfrontation und eine diplomatische Krise an.
»Das möchte ich bezweifeln«, sagte ich.
»Das brauchen Sie nicht. Wir nennen ihn Biffen, das Steak, und er ging letzten Sommer von Odense nach Flensburg in weniger als zwölf Stunden.«
»Dabei müssen Sie bedenken, dass Dänemark flach ist, während es in Norwegen gewisse Höhen und Steigungen gibt.«
»Ach, es kommt doch nicht auf die Landschaft an. Darauf, ob es Hügel gibt oder nicht. Außerdem führt ein Anstieg ja unweigerlich zum Gegenteil.«
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Es ist der Charakter, auf den es ankommt. Nichts anderes als der Charakter. Und der Charakter des Steaks ist gnadenlos.«
»Zweifeln Sie an Notto Fipps Charakter?«
Der Däne musste einige Papiere ausfüllen, während er redete.
»Er scheint mir nicht ganz normal zu sein, dieser Fipp. Bananen!«
»Und warum wird der dänische Wanderer Biffen, das Steak, genannt?«
»Weil er, wenn er geht, zweimal täglich ein Steak isst. Und das Steak ist der größte Wanderer des Nordens.«
Er wandte sich seiner erschöpften Frau zu.
»Das ist er doch, nicht wahr, meine Liebe?«
»Das Steak ist der Beste«, sagte sie ohne größere Begeisterung.
Ich konnte den beiden nicht das letzte Wort auf Dänisch lassen.
»Ich bin bereit, darauf zu wetten, dass Notto Fipp dieses Steak unter allen Umständen schlägt«, sagte ich.
»Wie viel?«
»Wie viel? Darum geht es nicht. Es geht ums Prinzip!«
»Sie meinen also, dass Ihre Banane unser Steak unter allen Umständen schlägt?«
»Ganz genau. Und ich würde es schätzen, wenn Sie ihn nicht Banane nennen. Alles hat seine Grenzen.«
»Interessant.«
Der Däne gab mir eine Karte: Ulrik Holmsen, Königlicher Hoflieferant, Amager, Kopenhagen.
Was lieferte er dem Hof?
Ich hätte ihm gern auch meine Karte gegeben, aber ich hatte keine.
Dann holte ein Piccolo das Gepäck der Dänen ab, und wir verabschiedeten uns voneinander in gesitteter, nüchterner Form, wünschten einander viel Glück, wofür, das war mir damals noch nicht so recht klar. Der Gedanke an Biffen, dieses Steak, einen Herausforderer, eine Drohung, quälte mich, zumindest in dem Moment, aber er durfte keinen Schatten auf Notto Fipps Triumph werfen oder in irgendeiner Art und Weise seinen Glanz verdunkeln. Ich schickte ein Telegramm an Frau Byes Hotel, Egertorget, Oslo, Norvège, Bin unterwegs, gratuliere, dein B. H., lief alle Stufen zu unserem Zimmer hoch, unschlüssig war ich, aber eines war glasklar, ich musste nach Hause, riss also die Tür auf und sagte:
»Wir müssen nach Hause.«
Sigrid lag auf der Chaiselongue im salon privé und sah mich träge mit müdem Blick an. Vielleicht hatte ich sie ja geweckt.
»Nach Hause? Welchen haben wir denn heute? Habe ich ein paar Tage nicht mitgekriegt?«
»Das Unwetter, Sigrid. Es kann sein, dass keine Züge mehr fahren.
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