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Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman

Titel: Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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halten muss«, flüsterte ich.
    »Was hast du gesagt?«
    »Das bedeutet Fotzenhöllenscheiße, dass ich eine Schwanz- und Aalquappenrede bei der Examensfeier in der Aula halten muss!«
    Ich schlug mit dem Kopf gegen das Verdeck und lief Gefahr, dass mir der ganze Wagen auf den Kopf rutschte.
    Alfred saß so ruhig wie immer da.
    »Und ich bin auch stolz auf dich«, sagte er.
    Aber das war noch nicht alles.
    Ich sank auf dem Sitz zusammen.
    »Was soll ich denn anziehen, Alfred? Ich kann doch nicht im Bademantel hingehen?«
    Alfred drehte sich um.
    »Bei der Rede kann ich leider nicht helfen, aber den Rest werde ich regeln.«
    Und Alfred gab Vollgas, am Schlosspark vorbei, umfuhr Cochs Pensionat, wo er selbst Hof hielt, weiter die Straßenbahnschienen entlang, die nach Majorstuen führten und wie stramme Hosenträger aus Silber zwischen den Pflastersteinen lagen, und schließlich hielt er vor Franck im Bogstadveien, dem berühmten Warenhaus für Männer wie für Frauen.
    »Die Hvals haben sich hier immer eingekleidet«, sagte er.
    Wir gingen in den zweiten Stock nach oben, wo zwei Verkäufer und ein Schneider bereit standen. Doch als sie mich kommen sahen, überfiel sie eine Art Schüchternheit, ein Unbehagen, als würden meine unanständige Mutter und mein selbstmörderischer Vater ihre Schatten bis in die Hemdenabteilung bei Franck im Bogstadveien werfen. Sie mussten sich zusammenreißen und kamen schließlich näher, mit dem Schneider an der Spitze.
    »Womit kann ich dienen, bevor Sie wieder gehen, Hval?«
    »Nennt mich Bernhard«, sagte ich.
    Alfred nahm seine Mütze ab und schob sie wie ein Soldat unter den Arm.
    »Bernhard Hval soll in der Aula eine Rede halten und braucht dafür den geeigneten Anzug.«
    Ordnungsregel 7! Vergiss um Gottes willen nicht Ordnungsregel 7!
    Sie bauten ein Gerüst um mich, rissen die alte Fassade ein und bauten gewissenhaft eine neue auf, von den Zehen bis zur Kopfhaut und von außen bis nach innen. Es dauerte zwei Stunden und zehn Minuten. Dann stand ich erschöpft, zusammengefaltet und gekürzt, in voller Montur da. Hätte ich auch nur den kleinen Finger gekrümmt, hätten mich augenblicklich hundert Stecknadeln gepiekst. Schließlich war der Schneider zufrieden, und die Verkäufer waren es auch. Sie hofften offensichtlich auf einen reichlichen Bonus aufgrund dieser Verkleidung, ja, mein Einsatz an der medizinischen Fakultät zog Kreise.
    »Dieser Frack mit Zubehör kann bei jeder feierlichen Gelegenheit getragen werden, selbst bei einer Audienz beim König«, erklärte der Schneider.
    »Danke. Sie können alles in den Skovveien schicken. Auf meinen Namen. Bernhard Hval.«
    »Wollen Sie es nicht erst im Spiegel ansehen?«
    Die Verkäufer schoben von beiden Seiten zwei bodenlange Spiegel auf mich zu.
    »Das ist nicht nötig. Ich vertraue Ihnen. Ihnen allen. Ich vertraue allen! Ich vertraue Franck im Bogstadveien!«
    Doch der Schneider blieb hartnäckig.
    »Aber Sie müssen doch selbst sehen, ob Sie zufrieden sind!«
    Stattdessen schaute ich Alfred an.
    »Was meinst du?«, fragte ich. »Ich sehe doch hoffentlich nicht aus wie ein Bonvivant?«
    Ich lachte laut auf. Ich, ein Bonvivant!
    »Dein Vater wäre sehr stolz auf dich«, sagte Alfred.
    Bald wurde ich zwischen die Spiegel geklemmt, wie eine Fliege zwischen Himmel und Erde zerdrückt wird, in Nullkommanichts.
    Doch ich ging einfach meines Weges, die Treppen hinunter, durch die Damenabteilung, an den Verkäuferinnen und Kassenapparaten vorbei, hinaus auf den Bogstadveien, wo mich die Sonne auf der Stirn traf. Ich blieb stehen und schloss die Augen. Warum ließ man mich nicht in Ruhe? Warum hörten die Leute nicht auf das, was man sagte? War es so schwierig? Warum war die Welt so aufdringlich? Als die Sonne ein Stück weitergezogen war und ich die Augen öffnen konnte, war ich umringt von Fußgängern, die lachend auf mich zeigten. Seht nur, ein Mann voller Nadeln, guck mal, Mama, guck mal, Papa, sieh mal, mein Sohn, schau mal, meine Tochter, der Nadelmann! Ich verneigte mich, drehte diesem genügsamen, billigen Publikum den Rücken zu, war ich vielleicht nicht gratis und ein teurer Kauf, und ging zurück und wieder die Treppen hinauf. Ich hatte Angst, Franck vollkommen zu zertrümmern. Ich hätte wohl ganz oben anfangen und mich dann nach ganz unten vorarbeiten können. Die Verkäufer und der Schneider standen schweigend da, unruhig warteten sie im zweiten Stock auf mich. Alfred musste irgendetwas an seiner Mütze ordnen und war vor

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