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Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman

Titel: Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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allem damit beschäftigt.
    »Der Anzug sitzt ausgezeichnet und ist sehr angenehm zu tragen«, sagte ich.
    Ich ging weiter in den Umkleideraum, schloss die Tür, spuckte dreimal in die Dettweiler, schluckte, knirschte mit den Zähnen, grunzte, legte mir das Taschentuch aufs Gesicht, trampelte, hob die Arme, aber leider war es zu eng, um hier einen Purzelbaum zu schlagen, das musste warten, bis ich zu Hause war. Dann zog ich mich um, und zum zweiten Mal verließ ich Franck im Bogstadveien, setzte mich ins Auto und zündete mir eine Zigarette an. Alfred kam umgehend nach. Eine Weile blieben wir schweigend sitzen, bis er fragte:
    »Kannst du noch, Bernhard?«
    »Woran denkst du?«
    »Die Haare.«
    Wir fuhren zum Grand Hotel und gingen in C. F. Hansens berühmten Herrensalon, der hinter dem Palmengarten lag. Die Stühle, zwei an der Zahl, waren mit Elefantenhaut bezogen, und leider waren beide frei. Die eine Wand war mit Spiegeln bedeckt. Ich wurde von Spiegeln verfolgt. Jetzt begriff ich, warum. Die Spiegel sollten mich auf die Probe stellen, meine Stärke messen und meinen Charakter herausfordern. C. F. Hansen selbst wünschte uns in seinem langen weißen Kittel willkommen und bat mich, auf dem ersten Stuhl Platz zu nehmen.
    Ich blieb stehen.
    »Bitte schön«, wiederholte C. F. Hansen.
    Ich bewegte mich nicht.
    »Wenn Sie lieber den anderen Stuhl nehmen wollen, ist das genauso gut.«
    Ich verschränkte die Arme.
    »Drehen Sie den Stuhl um«, sagte ich.
    Wozu hat man Ordnungsregeln, wenn man ihnen nicht folgen kann?
    C. F. Hansen holte eine glänzende Schere aus der Brusttasche.
    »Wie bitte?«
    Die Welt war an diesem Tag schwerhörig.
    Ich musste mich selbst wiederholen:
    »Drehen Sie den Stuhl um.«
    C. F. Hansen drehte sich stattdessen selbst zu Alfred um. Es war der Stuhl, den ich umgedreht haben wollte, nicht ihn. Würde das denn nie ein Ende nehmen?
    »Den Stuhl umdrehen?«
    Alfred nahm wieder seine Mütze ab.
    »Verstehen Sie, Bernhard Hvals Augen sind Spiegeln gegenüber äußerst empfindlich. Deshalb.«
    C. F. Hansen dachte nach.
    »Könnten wir dann nicht ein angenehm dampfendes Handtuch über sein Gesicht legen?«
    »Ich fürchte, das würde nicht genügen«, sagte Alfred.
    C. F. Hansen musste weiter nachdenken.
    »Bernhard Hval ist der Beste seines Jahrgangs geworden«, fügte Alfred hinzu.
    »In welchem Fach?«
    »Medizin.«
    Ich unterbrach Alfred.
    »Du brauchst nicht allen zu erzählen, dass ich der Beste meines Jahrgangs geworden bin.«
    C. F. Hansen rief jemanden, und ein schlaksiger, uninteressierter Junge kam aus dem Hinterzimmer, er trug eine blaue, viel zu große Jacke, war also nur ein Lehrling, der sich noch nicht einmal den weißen Kittel verdient hatte. Wenn der auf mich losgelassen werden sollte, dann war der Besuch bereits jetzt beendet.
    »Dreh den Stuhl um«, sagte C. F. Hansen.
    Der Lehrling schaute seinen Meister an.
    »Den Stuhl umdrehen?«
    »Ja. Dreh den Stuhl um.«
    »In welche Richtung?«
    C. F. Hansen verbarg sein Gesicht in den Händen.
    »In welche Richtung? Na, rundherum natürlich.«
    »Und warum?«
    Jetzt ging der Meister bedrohlich nahe auf seinen Lehrling zu, der alles mit der Nagelschere eingetrichtert bekommen musste.
    »Ganz einfach, weil ich es sage.«
    Endlich drehte der Lehrling den Stuhl um. Ich setzte mich. War das so schwierig? Warum sich dagegen sträuben. Warum entgegen besserem Wissen einfach mitmachen? Tut das so weh? Ich bekam einen Umhang umgebunden und Krepppapier um den Hals gewickelt. Das Geräusch der Schere erinnert mich an einen Sommer. Der Sommer erinnert mich daran, dass alles bald vorbei ist. Wer kennt nicht diesen Geschmack? Ist es denn nicht unsere gemeinsame Mahlzeit, die der Kantigen wie der Runden? Herrlicher Herbst! Das Tor zum Wintergarten! Komm, lass uns den großen Kamm am Skelett entlangziehen und die Knochen an Ort und Stelle kämmen.
    Jemand sagte meinen Namen.
    Das war Alfred.
    Er schüttelte mich.
    »Du darfst nicht einschlafen«, sagte er.
    Alfred trat zur Seite und ließ C. F. Hansen den Vortritt.
    »Bernhard Hval. Ich frage Sie: Wie möchten Sie Ihr Haar haben?«
    Ich antwortete, wie wir es unter Studenten zu sagen pflegen:
    »Einmal alles bitte.«
    C. F. Hansen machte sich an die Arbeit.
    Von meinem Platz aus konnte ich seinen Meisterbrief sehen, der an der Wand direkt vor mir hing, ausgestellt 1906, von der Gilde der Herrenfrisöre von Kristiania, unterzeichnet von drei Meistern und einem Sekretär. Das war beruhigend. Leider kamen

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