Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman
geschah. Doch da kam Sigrid mir nach, mein rettender Engel. Zunächst jedoch erschreckte sie mich sehr. Und umso größer war die Rettung.
»Haben wir Geheimnisse voreinander?«, fragte sie.
Das war eine Frage, die viele Gefahren barg. Ich musste die Antwort sehr vorsichtig wählen.
»Inwiefern?«
»Das weißt du wohl am besten, Bernhard.«
Einen Moment lang war ich verunsichert. Woher sollte ich das wissen, ich, der stets zu verbergen sucht, wer ich wirklich bin, und immer und immer wieder entdeckt werde, denn für solche wie uns gibt es kein Versteck, kein anderes als den Tod. Zielte sie auf meine falschen, vergeudeten Samenausstöße ab?
»Ich habe keine Ahnung, wovon du redest.«
Sigrid hielt eine Visitenkarte hoch.
»Wer ist denn beispielsweise das?«
Es war der Däne, Ulrik Holmsen, der Königliche Hoflieferant. Ich hatte ihn fast schon vergessen, und jetzt war Sigrid so liebenswert, mich an ihn zu erinnern. Ich ließ einen Seufzer der Erleichterung vernehmen.
»Wühlst du in meinen Taschen?«, fragte ich.
»Nein, ich wasche sie. Wer ist das?«
»Nur jemand, den ich in der Rezeption im Hotel in Nizza getroffen habe.«
»Und was liefert dieser Ulrik Holmsen dem königlichen Hof?«
Jetzt wusste ich, was ich Sigrid zeigen wollte.
Ich schnappte mir die Visitenkarte.
»Es ist nicht nur Direktor Lund, der große Pläne mit mir hat«, sagte ich.
Und dann ging ich. Ich verließ das Haus glücklich und zufrieden, ohne Mantel, ohne Hut und weder mit einem Tuch um den Hals noch mit Handschuhen an den Händen. Das Risiko musste ich eingehen. Ich ging, so wie ich war, und ließ Sigrid mit leeren Händen zurück. Ich jagte ihr einen gehörigen Schrecken ein. Etwas Ähnliches war noch nie vorgekommen. Das hatte sie nun davon. Konnte ich hören, wie sie im Hintergrund weinte? Sollte sie doch meinetwegen ruhig weinen! Ich ging schnellen Schrittes hinunter in die Stadt, um warm zu bleiben, mit Armen wie Propeller, während ich spuckte, knirschte und heulte. Nur ein Glück, dass ich einen Zufluchtsort hatte! Jeder Mann braucht, wenn nicht ein Versteck, dann zumindest einen Zufluchtsort. Ich hatte den Skovveien. Zuerst klingelte ich. Als niemand öffnete, trotz mehrerer Versuche, schloss ich mit dem Extraschlüssel auf.
»Notto!«, rief ich.
Da konnte die Klatschtante von oben natürlich nicht mehr an sich halten. Sie kam die Treppe herunter und hockte sich aufs Geländer.
»Ihr Untermieter ist nicht zu Hause, Doktor Hval«, sagte sie.
»Wissen Sie vielleicht, wo er ist?«
»Nein, woher um alles in der Welt sollte ich das wissen?«
»Aber vielleicht wissen Sie, wann er das letzte Mal hier war?«
»Er ist vor drei Wochen ausgezogen. Gott sei Dank.«
»Gott sei Dank? Hat er denn gestört?«
Die Alte warf den Kopf zurück.
»Er passt nicht hier ins Haus.«
Ich schaute auf meine Füße. Ich war in Hausschuhen gekommen. Der einzige Punkt, an dem ich nicht fror, das war der Mund. Der brannte.
»Ausgezogen? Soll das heißen, dass er Gepäck bei sich hatte?«
»Nur sein Clownskostüm.«
»Was sagen Sie? Clownskostüm?«
Diese widerwärtige Person erlaubte sich zu lachen. Sie lachte über Notto Fipp.
»Er hatte einen Strohhut auf dem Kopf, und sein Pullover hing nur noch in Fetzen. Er wird sich totfrieren.«
»Darüber brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen.«
Die Alte war beleidigt. Ist das nicht typisch? Erst spotten sie über andere, was das Zeug hält, und dann vertragen sie nicht die geringste Widerrede, diese Jammerlappen und Stinknasen, alle zusammen.
»Ich wollte ja nur ein wenig behilflich sein«, brummte sie.
Du Mimose und Schweinskopf!
»Übrigens, stört Sie der Leberfleck gar nicht, den Sie da an der Schläfe haben?«, fragte ich.
Sofort hob sie die Hand und kratzte an der dunkelbraunen Kruste und war nicht mehr so aufmüpfig, auch wenn sie sich große Mühe gab.
»Können Sie den sehen?«
»Ich sehe ihn von hier, gnädige Frau.«
Sie unterbrach mich.
»Fräulein!«
»Tut mir leid. Aber ich sehe ihn genau. Und Sie sollten auf jeden Fall mit diesem Leberfleck einmal zu einem Spezialisten gehen, mein Fräulein. Der ist wahrscheinlich bösartig.«
Die Schnüfflerin zog sich schweigend und sehr blass zurück, und ich konnte in aller Ruhe in meine Wohnung gehen, die Tür hinter mir schließen und mit eigenen Augen sehen, dass Notto Fipp nicht dort war. Ich ging von Raum zu Raum, mehrere Male tat ich das, vergebens. Es schien fast, als wenn er nie hier gewesen wäre. Nicht eine
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