Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman
Kavernen!«
»Ja!«
»Citius, altius, fortius!«
Sigrid legte zu, und ich stieß zu. Bald konnte ich die Sklerotien in ihren Augen sehen. Das alles ging auf der Treppe vor sich, ein kniffliger Ort, um sich zu verlagern. Außerdem war die Position an sich beschwerlich, mit ihr oben. Aber allein der Gedanke an einen Erben, mein eigen Fleisch und Blut, der in meine Fußspuren treten würde, war so entsetzlich, dass er mir die Kraft und die Disziplin gab, die notwendig waren. Bei fortius stöhnte ich nach Leibeskräften, schluckte und heulte und setzte den letzten Stoß, während Sigrid noch einmal zulegte und ich schon glaubte, sie würde abtreten, doch dieses Mal nicht, verflucht, sie fing noch einmal von vorne an, Madonna perpetuus, sie spürte wohl, dass ich immer noch standhielt. Selten wurde ich auf größere Proben gestellt. Ich zählte die Äste in der Deckentäfelung. Ich zählte die Nägel am Sarg. Ich zählte den Staub in der Luft und Sigrids schnelle Herzschläge. Ein weiteres Mal musste ich stöhnen, und sie rutschte fast auf die nächste Stufe, blieb dort sitzen und schnappte nach Luft, ganz in Gedanken versunken, wie es schien. Ich nutzte die Gelegenheit, ins Bad zu huschen, wo ich mich sofort über der Toilettenschüssel entleerte, in vier schnellen Zügen, während ich die Zähne zusammenbiss, dass es im Kiefer brannte. Dann versuchte ich mich unter der Dusche wieder instand zu setzen, abwechselnd mit heißem und kaltem Wasser, zog mich um, wusch die Hände ein weiteres Mal und dachte, dass es so auf Dauer nicht weitergehen konnte. Als ich wieder ins Schlafzimmer kam, lag Sigrid auf dem Bett und rauchte eine Zigarette.
»Warum rennst du immer auf die Toilette, wenn wir fertig sind?«, fragte sie.
»Weil das gesund ist.«
»Gesund? Es ist jedenfalls nicht besonders romantisch.«
»Trichuri. Wenn man kurz nach dem Samenerguss uriniert, dann vermeidet man Trichuri.«
»Du bist der Arzt«, sagte Sigrid.
»Und du bist meine Huri. Hast du gehört, dass sich das gereimt hat?«
Ich gab ihr noch einen Kuss.
»Viel Glück mit dem Nabelbruch«, sagte sie.
»Danke, meine Liebe.«
Ich holte meine Tasche, schaute auf das Thermometer am Fenster, fünf Grad, zog mir den Mantel über, nahm Hut, Handschuhe und Schal und ging hinunter zur Besserud-Haltestelle, wo die Bahn pünktlich kam, nahm meinen üblichen Platz ein, kaufte eine Fahrkarte, grüßte mit einem leichten Nicken die Fahrgäste, die ich jeden Morgen traf, wenn ich nicht Nachtwache hatte, und die auch auf ihren üblichen Plätzen saßen, und Gnade dem, der den falschen eingenommen hatte. Das gefiel mir vielleicht überhaupt am allerbesten: die Sitze waren bereits besetzt, bevor sich jemand gesetzt hatte. Wir wussten voneinander, wo wir hingehörten. Ich erhielt verhaltenes Nicken zurück. Es war, wie es sein sollte. Wir waren alle zurückhaltende Männer, oder etwa nicht? Wir wollten nicht gestört werden. Noch vor Gulleråsen wurden die Zeitungen auseinandergefaltet, Aktien, Kurse, Todesanzeigen, Weltrekorde. Ich hatte mehr als genug mit meiner Aktentasche. Ich klammerte mich an meine Aktentasche. Hier durfte ich nicht knirschen, spucken oder die Arme hochreißen. Doch diese Fahrten hinunter in die Stadt waren ein Augenblick des Glücks, genauer gesagt zehn Haltestellen Freiheit. Das war das normale Leben. Eine Weile ähnelte ich den anderen. Wir waren zurückhaltende Männer auf dem Weg zur Arbeit, zum Joch des Tages. Jeder von uns hielt auf seine Art das Rad am Laufen, einer war Rechtsanwalt, einer war Hafeninspektor, ein anderer saß für die Konservativen im Stadtparlament, und dem Mann hinter mir gehörte der Tivoli Kinematograph. Ich gehörte zu ihnen.
Was aber nicht lange dauerte. Es dauerte genau so lange, wie die Fahrt dauerte. Mein normales Glück folgte dem Fahrplan der Holmenkollenbahn: Sonntags kam es seltener.
Doch an diesem Tag währte das Glück kürzer. Es endete im Tunnel von Valkyrien. War etwas an diesen Blicken? Waren sie nicht eher belustigt statt verhalten, und das auf meine Kosten? Hatten sie Hamsuns Epistel gestern in der Aftenposten gelesen und mich und nicht seine Lügen durchschaut? Oder erinnerten sich die Ältesten vielleicht an meinen Vater, der den Verstand verlor, als die Bahn bis zum Holmenkollen verlängert wurde und die Haltestelle Besserud nicht mehr das Ende der Welt war? Lachten sie hinter meinem Rücken? Ich stolperte beim Nationaltheater aus dem Wagen, konnte nicht schnell genug an die frische Luft
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